Nachhaltigkeit

19. Februar 2020

Umwelt­psycholo­gin Katharina Beyerl im Inter­view: „Aus­brechen kostet Über­windung“

Lesezeit: 7 Min.

Ab morgen konsequent nachhaltig leben? So einfach ist das nicht, betont Katharina Beyerl. Die Umweltpsychologin am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS), Potsdam, erläutert, warum wir uns so schwer tun, auf lieb gewonnene Gewohnheiten zu verzichten und was passieren muss, damit wir unser Verhalten im Sinne der Umwelt und zum Wohl des Lebens auf unserem Planeten verändern.

Wir alle wissen, dass es die Umwelt schont, wenn wir seltener fliegen, weniger Müll produzieren oder unseren Fleischkonsum einschränken. Warum fällt es uns trotzdem häufig so schwer, uns einen Ruck zu geben und nachhaltiger zu leben?

Katharina Beyerl: Wer konsequent nachhaltig leben möchte, muss eine Vielzahl lieb gewonnener Gewohnheiten überprüfen. Dabei geht es neben Fragen der Mobilität und Ernährung auch um Themen wie Wohnen, Kleidung oder auch die Geldanlage. Kurzum: Wir müssen unseren gesamten Lebensstil hinterfragen. Es ist also leider nicht mit einem Ruck getan. Denn wir verhalten uns meist so, wie wir es gewohnt sind und wie es am einfachsten ist. Um Veränderung leicht zu machen, braucht es gute Alternativen, denn sonst ist uns das vielfach zu aufwändig.

Porträt von Katharina Beyerl
Über:
Katharina Beyerl

ist Umweltpsychologin am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) in Potsdam.

Man könnte klein anfangen.

Katharina Beyerl: Ja, manchmal ist das sogar sehr einfach. Zum Beispiel, wenn ich mich entscheide, zu einem Ökostrom-Anbieter zu wechseln. Das ist schnell getan und setzt mich nicht jeden Tag erneut unter Entscheidungsdruck. Anders ist das bei Fragen wie: Bus oder eigener PKW? Zertifizierte Lebensmittel oder nicht? Mit dem Flugzeug in den Urlaub? Oder: Was macht die Bank mit meinem Geld? Die Beantwortung solcher Fragen erfordert viel Zeit und Wissen. Wer mit zwei Kindern und unter Zeitdruck im Supermarkt einkauft, hat nicht die Muße, Produktbeschriftungen zu studieren und abzuwägen, wie ein Produkt hergestellt wurde, wie es verpackt ist und welche sozialen und ökologischen Effekte es hat. Stattdessen wird er oder sie aus Gewohnheit zu bekannten, bewährten, möglichst preiswerten, aber häufig nicht unbedingt nachhaltigen Artikeln greifen.

Ist das nicht zu einfach? Es gibt Nachhaltigkeitssiegel, die bei der Orientierung helfen.

Katharina Beyerl: Verbraucher fühlen sich aufgrund der Vielzahl von Siegeln oft verunsichert. Und eine genaue Recherche kostet Zeit. Viel besser wäre doch, wenn Konsumenten sicher sein könnten, dass die angebotenen Produkte grundsätzlich nachhaltig sind. Möglichst regionale Produkte, ökologisch und sozial fair produziert, zu erschwinglichen Preisen. Das sollte eigentlich der Standard sein und nicht die Ausnahme.

Preise müssten soziale und ökologische Kosten widerspiegeln.

Katharina Beyerl
Porträt von Katharina Beyerl
Katharina Beyerl

Das heißt, die Anbieter von Produkten und Dienstleistungen sind gefordert, es den Verbrauchern leichter zu machen, ihre Komfortzone zu verlassen?

Katharina Beyerl: So sehe ich das. Es geht doch immer um Zahl und Qualität der Alternativen. Wenn die Fahrt zur Arbeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln drei Mal so lange dauert wie mit dem eigenen Auto und dazu noch teuer ist, werden nur wenige Menschen umsteigen. Politik und Wirtschaft müssen eine Infrastruktur schaffen, die es den Menschen ohne großen Aufwand möglich macht, sich nachhaltig zu verhalten. Und wir Verbraucher sind in der Pflicht, das stärker einzufordern. Sowohl politisch, aber auch, indem wir beim Einkauf immer wieder nach nachhaltigen Produkten und alternativen Verpackungsmöglichkeiten fragen – bis Hersteller und Handel merken, dass es dafür einen Markt gibt.

Wie wäre es, wenn der Preis eine stärkere Steuerungsfunktion übernehmen würde? Wenn zum Beispiel tropische Früchte deutlich teurer wären oder Flüge nach Mallorca nicht schon für zeitweise 29 Euro zu haben wären, würden viele Menschen ihr Konsumverhalten allein mit Blick auf ihr Portemonnaie überdenken.

Katharina Beyerl: Tatsächlich kann eine andere Preisgestaltung nachhaltiges Verhalten einfacher und umsetzbarer machen. Preise müssten soziale und ökologische Kosten widerspiegeln. Denn negative Folgen von Ausbeutung und Umweltzerstörung tragen wir alle, während Profite nur wenigen zugutekommen. Nachhaltige Produkte und Dienstleistungen müssten preiswerter sein als nicht nachhaltige, um das zu ändern. Eine Preisgestaltung allein reicht jedoch nicht aus. Wie erwähnt, müssen auch attraktive Alternative geschaffen werden. Und soziale Normen müssen sich ändern.

Was heißt das?

Katharina Beyerl: Unter sozialen Normen verstehen Psychologen die Verhaltensstandards, die innerhalb einer Gruppe oder der gesamten Gesellschaft gelten. Menschen verhalten sich häufig so, wie sie denken, dass andere, die ihnen wichtig sind, es erwarten. Wer ahnt, dass ihn Freunde und Bekannte schräg anschauen, wenn er T-Shirts für 3 Euro kauft oder Einweg-Kaffeebecher benutzt, wird eher darauf verzichten.

Den meisten Menschen ist der kurzfristige persönliche Genuss einer Urlaubsreise mit dem Flugzeug nach wie vor wichtiger als die negativen Folgen für das Klima.

Katharina Beyerl
Porträt von Katharina Beyerl
Katharina Beyerl

Wie lässt sich die für nachhaltiges Verhalten gültige soziale Norm nach oben anpassen?

Katharina Beyerl: Soziale Vorbilder können zeigen, dass es chic, möglich und erschwinglich ist, sich nachhaltig zu verhalten. Jeder Mensch ist ein Vorbild! Eine große Rolle spielt auch die Berichterstattung der Medien und die Werbung. Sie prägt unser Bewusstsein, was angesagt ist. Das Wichtigste jedoch ist Bildung: Wer weiß, welche Folgen das eigene Verhalten und was für Alternativen es dazu gibt, ist bestens gerüstet, nachhaltiger zu handeln. Es wäre zu wünschen, dass schon Kindergärten und Schulen mehr Aufklärungsarbeit in Sachen Nachhaltigkeit leisten. Und, ein Satz noch zur Rolle der Medien: Sie sollten nicht nur über die sozioökologische Krise an sich  informieren, sondern immer auch Lösungsvorschläge machen.

Das klingt nach einem langen Weg. Noch scheint es gesellschaftlich in Ordnung zu sein, für einen Kurztrip nach Mallorca ins Flugzeug zu steigen.

Katharina Beyerl: Kein Wunder, wenn solche Flugtickets ab 29 Euro großflächig beworben werden und bequem mit wenigen Mausklicks zu kaufen sind. Da ist die Verlockung trotz vielleicht guter Vorsätze groß, sich etwas zu gönnen. Daher ist es wichtig, dass die sozialen und ökologischen Kosten eines solchen Flugs im Preis und in der Werbung klar widergespiegelt werden.

Flugscham allein wird nicht bewirken, dass weniger Menschen fliegen?

Katharina Beyerl: Möglich, dass der eine oder andere Vielflieger gegenüber Freunden und Bekannten zunehmend unter Rechtfertigungsdruck gerät. Allein die Tatsache, dass es das Wort „Flugscham“ gibt, zeigt, dass das Bewusstsein für die negativen Auswirkungen dieser Form des Reisens gestiegen ist. Aber den meisten Menschen ist der kurzfristige persönliche Genuss einer Urlaubsreise mit dem Flugzeug nach wie vor wichtiger als die negativen Folgen für das Klima. Einen möglichen Ansatz sehe ich jedoch bei Reise-Regelungen von Institutionen – egal ob Unternehmen oder staatliche Einrichtung. Gemeinsam beschlossen, lassen sich Ziel wie ein CO2-Budget besser einhalten und setzen gleichzeitig neue soziale Normen.

Wer es sich bequem macht, wird sagen: Ob ich fliege oder nachhaltige Lebensmittel kaufe, wird die Welt nicht retten. Ihre Antwort darauf?

Katharina Beyerl: Viele Umweltprobleme sind durch menschliches Handeln verursacht. Somit ist unser Verhalten auch der Schlüssel zur Veränderung dieser Verhältnisse. Jeder kann dazu beitragen – als Privatperson, in der Familie, im Verein oder im Beruf. Denn viele können viel bewegen.