Nachhaltigkeit

20. Juli 2020

Initiative „Du bist hier der Chef“: Eine Milch, von Verbrauchern gewählt

Lesezeit: 9 Min.

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Verbraucher-Milch bei REWE: Demokratisch gewählt

Der Name ist Programm. „Du bist hier der Chef“, heißt die neue Frischmilch-Marke, die diese Woche in 400 REWE-Märkten ihre Deutschland-Premiere feiert. Das Besondere: Verbraucherinnen und Verbraucher haben über Qualität, Tierwohl, Preis, Herkunft und Verpackung mitentschieden.

Eine Milch, bei der die Verbraucher Einfluss auf die Haltungsbedingungen der Kühe und die Entlohnung der Landwirte nehmen können: Das ist das Konzept der Verbraucher-Milch, die erstmals bei REWE in die Regale kommt. Kann Mitbestimmung bei Lebensmitteln in Deutschland funktionieren?

Schon der Name der Marke verrät, um was es geht: „Du bist hier der Chef“ steht auf den Milch-Kartons, die ab Mitte Juli in den rund 400 REWE-Märkten der Region Mitte zu kaufen sein werden. Die Milch stammt von der nordhessischen Upländer Bauernmolkerei und erfüllt viele Kriterien, die Verbraucherinnen und Verbraucher zuvor in einer Online-Befragung als besonders wichtig bewertet hatten. Zum Beispiel, dass die Kühe viel Zeit auf der Weide verbingen, genügend Auslauf haben, überwiegend Frischgras fressen und ausschließlich regional hergestelltes Futter erhalten. Wir möchten Verbrauchern die Möglichekeit geben, zu entscheiden, was ihnen bei Lebensmitteln wichtig ist und wofür sie bereit sind mehr zu bezahlen. Das schafft Transparenz, sorgt für mehr Nachhaltigkeit und führt zu einer fairen Vergütung der Landwirte, erläutert Nicolas Barthelmé, Gründer der Initiative und Vorsitzender des gemeinnützigen Vereins „Die Verbrauchergemeinschaft“.

Die Idee, Verbraucherinnen und Verbraucher bei der Produktentwicklung mitbestimmen zu lassen, stammt aus Frankreich. Dort werden bereits seit 2016 Produkte unter der Marke „C‘ est qui le patron?!“ vertrieben – inzwischen sind es mehr als 30, darunter neben Milch auch Eier, Butter, Mehl und Erdbeeren. Barthelmé sieht die Zeit gekommen, das Modell nach Deutschland zu importieren: Wenn man den Menschen erklärt, welche Verbesserungen mit einem höheren Milchpreis möglich sind, sind viele bereit, mehr zu bezahlen. Eine so gute Idee sei es wert getestet zu werden, findet Dirk Heim, Bereichsleiter Nachhaltigkeit Ware der REWE Group: Wir freuen uns, dass wir der erste Partner im Handel sind. Jetzt sind die Verbraucherinnen und Verbraucher am Zug. Wenn die Nachfrage stimmt, wird die Verbrauchermilch auch in weiteren REWE-Märkten zu kaufen sein. Und Nicolas Barthelmé plant bereits neue Produkte unter der Marke „Du bist hier der Chef“: Mit Eiern und Kartoffeln soll es weitergehen.

Die Verbraucher-Milch stammt von der nordhessischen Upländer Bauernmolkerei und erfüllt viele Kriterien, die Verbraucherinnen und Verbraucher zuvor in einer Online-Befragung als besonders wichtig bewertet hatten.

Die Idee, Verbraucherinnen und Verbraucher bei der Produktentwicklung mitbestimmen zu lassen, stammt aus Frankreich. Dort werden bereits seit 2016 Produkte unter der Marke „C‘ est qui le patron?!“ vertrieben.

Interview mit Gründer Nicolas Barthelmé: „Milch kaufen, um ein Zeichen zu setzen“

Nicolas Barthelmé, Gründer der Initiative Du bist hier der Chef! Die Verbrauchermarke, erläutert, warum Mitbestimmung bei Lebensmitteln auch in Deutschland funktionieren könnte, wie die von Verbrauchern kreierte Milch sich am Markt etablieren soll und wieso REWE der perfekte Partner zum Start ist.

Die Idee, Verbraucher entscheiden zu lassen, wie Lebensmittel entstehen, ist in Frankreich ein großer Erfolg. Sie haben in Frankreich studiert und viele Jahre im Marketing eines Käseherstellers gearbeitet. Was treibt Sie an, das Konzept der Mitbestimmung nach Deutschland zu importieren?

Nicolas Barthelmé: Gerechtigkeitsgefühl. Leider ist es doch so: Landwirte werden für ihr großes Engagement oft unzureichend bezahlt. Das ist sicher kein aktiver Wunsch der Gesellschaft, sondern über die Zeit aus dem Ruder gelaufen. Ich bin überzeugt: Wüssten die Verbraucher, welche Konsequenzen ihre Kaufentscheidungen haben, würden sie ihr Verhalten gelegentlich überdenken. Wer zum Beispiel mehr Qualität, Naturschutz und Tierwohl haben möchte, muss diejenigen unterstützen, die diese Aufgaben für die Verbraucher übernehmen. Ich denke, es könnte sehr viel transparenter und gerechter zugehen.

Porträt von Nicolas Barthelmé
Über:
Nicolas Barthelmé

Nicolas Barthelmé ist Gründer von “Du bist hier der Chef” in Deutschland.

Verbraucher in Frankreich haben eine andere Wertschätzung für Lebensmittel. Sie geben weitaus mehr Geld für Essen und Trinken aus als deutsche Konsumenten. Warum sollten Supermarkt-Kunden in Deutschland bereit sein, 1,45 Euro für einen Liter Milch zu bezahlen?

Nicolas Barthelmé: So sehr der deutsche und der französische Lebensmittelmarkt sich auch unterscheiden – bei vielen Grundnahrungsmitteln ist die Situation ähnlich. Auch in Frankreich ist günstige Milch für 70 Cent pro Liter zu kaufen. Ein Preis, der unfair und eigentlich inakzeptabel ist. Wenn man den Verbrauchern erklärt, welche Verbesserungen mit einem höheren Milchpreis möglich sind, sind viele bereit, ihn zu zahlen. Das ist eine wichtige Botschaft. Viele Dinge, die sich Milchkäufer wünschen, zum Beispiel in punkto Tierhaltung und Fütterung, sind nun einmal nicht zum Nulltarif zu bekommen.

Wir lassen die Verbraucher entscheiden und zeigen transparent auf, was in Abhängigkeit vom Preis in puncto Qualität möglich ist.

Nicolas Barthelmé
Porträt von Nicolas Barthelmé
Nicolas Barthelmé

„Du bist hier der Chef!“ lässt Verbraucherinnen und Verbraucher online bestimmen, was ihnen wichtig ist. Erfahrungsgemäß betonen diese bei Befragungen oft, dass ihnen Tierwohl und Nachhaltigkeit besonders wichtig sind. Am Regal orientieren sie sich dann jedoch vor allem am Preis. Wie hoch ist die Aussagekraft Ihres Verbrauchervotums?

Nicolas Barthelmé: Wir verfolgen einen anderen Ansatz als klassische Befragungen. Wer bei uns mitmacht, bekommt zu jeder Frage eine Erklärung und die entsprechenden Preisauswirkungen angezeigt. So wird eine aktive Entscheidung und Mitbestimmung angeregt. Der Kunde kreiert sein eigenes Produkt und möchte es letztlich so wie er es sich wünscht, kaufen können. Zu Beginn der Befragung waren wir sehr gespannt, wie die Verbraucher reagieren würden. Am Ende haben wir mit etwa 10.000 Rückmeldungen doppelt so viele Antworten erhalten als wir erhofft hatten.

Es gibt bereits eine Vielzahl von Initiativen, die sich für nachhaltige Milch einsetzen. Es gibt allerlei Siegel und Zertifizierungen…

Nicolas Barthelmé: Für Verbraucher ist es tatsächlich schwierig, den Überblick zu behalten. Und da wären wir wieder bei der fehlenden Transparenz: Nach welchen Kriterien werden diese Produkte hergestellt? Welchen Anteil des Verkaufspreises erhält der Landwirt? Wie fair und ausreichend ist dieser Preis? Unser Ansatz ist einfach: Wir lassen die Verbraucher auf freiwilliger Basis entscheiden und zeigen transparent auf, was – in Abhängigkeit vom Preis – in puncto Qualität möglich ist. Wir vertrauen darauf, dass die Teilnehmer der Befragung auch die ersten Milch-Käufer sein werden. Denn damit unterstützen sie das System, für das sie sich entschieden haben. Indem sie Familie, Freunden und Bekannten davon erzählen, werden immer mehr Menschen auf unsere Idee aufmerksam.

Ein Bild von vier Menschen auf einem Strohballen sitzend.

Die Verbrauchergemeinschaft e.V. – Vereinsmitglieder Nicolas Barthelmé mit Mit-Gründern der Verbraucherinitiative. Ziel des Vereins ist es, Verbraucher beim Herstellungsprozess von fair und verantwortungsbewusst produzierten Lebensmitteln mitbestimmen zu lassen.

Trotzdem, 1,45 Euro pro Liter Milch sind ein stolzer Preis.

Nicolas Barthelmé: Dieser Preis entspricht der sehr hohen Qualität, die Verbraucher für ihre Milch gewählt haben. Er garantiert den Landwirten eine faire Vergütung von 58 Cent pro Liter, damit sie von ihrer Arbeit leben, in ihre Betriebe investieren und die Maßnahmen umsetzen können, die sich die Gesellschaft wünscht. Wir erwarten auch nicht, dass die Verbraucher von heute auf morgen ihr Einkaufverhalten komplett umstellen. Viele Menschen müssen auf den Cent schauen. Aber auch wenn ich knapp bei Kasse bin, kann ich ab und zu diese Milch kaufen, um ein Zeichen zu setzen.

Welche Absatzerwartungen haben Sie?

Nicolas Barthelmé: Unser Ziel ist es nicht, 20 Prozent Marktanteil zu erlangen. Wir möchten zeigen, dass gute und faire Produkte erfolgreich sein können. Schritt für Schritt wollen wir uns im Markt etablieren und immer mehr Landwirte einbinden, die nach den Wünschen der Verbraucher produzieren und entsprechend vernünftig bezahlt werden. Hoffentlich inspirieren wir auch andere in der Milchwirtschaft, Transparenz zu schaffen und die Vergütung für die Milchbauern anzuheben.

Zum Start ist die „Du-bist-hier-der-Chef-Milch“ in 400 REWE-Märkten der Region Mitte erhältlich. Lieferant ist die in Nordhessen beheimatete Uppländer Bauernmolkerei, die in der Region produziert. Wenn die Milch irgendwann bundesweit angeboten werden soll, werden Sie weitere Partner benötigen.

Nicolas Barthelmé: Wir freuen uns sehr, die Upländer Bauernmolkerei als erste Partnermolkerei gewonnen zu haben. Denn dies bedeutet, dass wir die Verbraucher-Milch auch regional produzieren und vermarkten lassen. Um das Produkt bundesweit verfügbar zu machen, möchten wir mit zwei bis drei weiteren Molkereien zusammenarbeiten. In Norddeutschland steht bereits eine Molkerei in den Startlöchern. Aber soweit ist es noch nicht. Zunächst einmal muss der Start gelingen.

Warum ist REWE der erste Partner im Lebensmittelhandel?

Nicolas Barthelmé: Zum Start ist REWE für uns der perfekte Partner. Die Märkte und Sortimente haben eine hohe Qualität und wenn es um Nachhaltigkeit geht, verfolgt REWE bereits seit langem eine anerkannt gute Strategie. Jetzt setzen wir zusammen ein Zeichen für Transparenz, Fairness und Qualität ohne Dumping.

In Frankreich verkauft die Verbrauchermarke „C´ est qui le patron?!“ vier Jahre nach ihrem Start bereits mehr als 30 verschiedene Produkte. Was wird „Du bist hier der Chef!“ nach der Milch als nächstes anbieten?

Nicolas Barthelmé: Auch hier haben wir die Verbraucher nach ihren Wünschen gefragt. Sie haben sich für Eier und Kartoffeln entschieden. Die entsprechenden Fragebögen werden gerade in Zusammenarbeit mit den Landwirten von uns erstellt. Weitere Produkte wären zum Beispiel Butter, Mehl, Honig sowie einige Fleischprodukte, die aber erst im nächsten Jahr kommen könnten. Es geht uns nicht um Geschwindigkeit, sondern um Sorgfalt. Wir möchten, dass sich die Produkte im Markt etablieren. Denn nur so können wir langfristig mit den Landwirten zusammenarbeiten, die in Vorleistung gegangen sind und ihre Produktion entsprechend der Verbraucherwünsche angepasst haben.