Noch gibt nicht das „eine“ Verfahren, um das Kükentöten flächendeckend zu stoppen. Die derzeit frühesten Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Brutei liefern nach neun Bebrütungstagen verlässliche Ergebnisse – so auch bei der SELEGGT-Technologie, die die REWE Group durch die Gründung eines Joint Ventures mit der niederländischen HatchTech Group erst ermöglicht hat. Ab 2024 sind möglicherweise in Deutschland – nach Lesart des aktuell vorliegenden Gesetzesentwurfes – jedoch nur noch Tests bis zum sechsten Bebrütungstag erlaubt. Als Begründung wird angeführt, dass möglicherweise bereits ab dem siebten Bebrütungstag ein Schmerzempfinden des Kükenembryos existieren könnte.
Hans-Jürgen Moog: Ein wirkliches Verständnis für diesen Ansatz haben wir nicht. Das Ganze fußt scheinbar auf einer russischen Studie aus den 1960er Jahren, die nach neuesten Erkenntnissen noch bis vor Kurzem falsch interpretiert wurde. Der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hat mit einem Sachstandsbericht von November 2020 – also erst nach Bekanntgabe des aktuell vorliegenden Gesetzentwurfes – den Sachverhalt neu bewertet und veröffentlicht. Aktuell gibt es weltweit kein gesetzlich erlaubtes und praxisreifes Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Brutei, das die Ansprüche einer Geschlechtsbestimmung bis zum sechsten Bruttag erfüllt. Warum man die Messlatte bereits jetzt so hoch legen muss, ist für mich nicht nachvollziehbar. In Frankreich gibt es bei entsprechenden gesetzlichen Initiativen solche Forderungen nicht.
Wobei ich die Diskussion für akademisch halte. Denn Fakt ist: Wenn wir weiter männliche Küken am ersten Tag ihres Lebens töten, dann haben sie auf jeden Fall ein voll ausgebildetes Schmerzempfinden und dieser Vorgang ist ethisch nicht zu rechtfertigen. Letztlich geht es bei dem Entwurf darum, quasi durch die Hintertür das Zweinutzungshuhn zu erzwingen. Das ist sicherlich aller Ehren wert. Aber es ist eine Tatsache, dass diese Rassen weniger Eier legen und weniger Fleisch ansetzen. Sprich: nicht den Bedürfnissen der Kundschaft und des Marktes entsprechen. Schließlich sollten wir auch nicht vergessen, dass wir in Deutschland bei Konsumeiern eine Eigenversorgungsquote haben, die bei rund 70 Prozent liegt. Mit Zweinutzungsrassen wird der Bedarf an Importen weiter steigen – und das wäre nicht nur schlecht für heimische Landwirt:innen und Wirtschaft, sondern auch für die Umwelt.