Nachhaltigkeit

18. Dezember 2023

Bereichsvorstand Thomas Nonn: Weshalb Genossenschaften heute aktueller sind denn je

Lesezeit: 10 Min.

Sie spielen seit mehr als 100 Jahren ganz vorne mit und bleiben in der öffentlichen Wahrnehmung dennoch eher im Hintergrund: die Genossenschaften. Das könnte sich jetzt ändern. Mit der Kampagne Die Genossenschaft, die Großes schafft. tritt die REWE Group selbstbewusst in die Öffentlichkeit und in den Dialog mit ihren Stakeholdern ein. Thomas Nonn, als Bereichsvorstand der REWE Group verantwortlich für den Geschäftsleitungsbereich Selbstständigkeit und Genossenschaft, im Interview.

Die REWE Group geht auf ihren hundertsten Geburtstag zu. Aus dem Zusammenschluss kleiner Einkaufsgenossenschaften ist eines der größten Handels- und Touristikunternehmen in Europa geworden. Was verbindet die REWE Group von heute noch mit dem Unternehmen von damals?

Thomas Nonn: Unsere Wurzeln im selbstständigen Unternehmertum wurden bereits mit unserer Gründung gelegt und sind auch heute noch vorhanden. Damals haben die Großhandelsgenossenschaften die heutige REWE Group gegründet. Die Mitglieder dieser Genossenschaften, die selbstständigen Kaufleute, wurden dadurch zu mittelbaren Eigentümern der Gruppe. Das hat sich über die Jahre unverändert gehalten und ist der Kern unseres Geschäfts. Darüber hinaus verbinden uns unsere gemeinsamen, genossenschaftlichen Werte.

Porträt von Thomas Nonn
Über:
Thomas Nonn
Bereichsvorstand Selbstständigkeit und Genossenschaft

ist seit 1990 bei der REWE Group beschäftigt.

Inwiefern?

Nonn: Eine Genossenschaft ist nie kurzfristig orientiert, sondern denkt über Generationen hinaus. Das wird besonders deutlich, wenn wir auf die Entwicklung unserer Regionalgenossenschaften schauen. Da gibt es einige Stränge, die sind über 100 Jahre alt und damit älter als die REWE-Zentrale. Das zeigt, dass ihr Handeln langfristig angelegt ist. Dazu gehört, dass man Werte hat. Diese genossenschaftlichen Werte sind unverändert gültig. Über alle Entwicklungen standen diese Werte mal mehr oder weniger im Fokus, waren aber immer vorhanden. Seit 2009 sind sie wieder stark in den Mittelpunkt gerückt. Wie sie gelebt werden, hängt immer auch von den agierenden Personen ab.

Welche Werte sind das zum Beispiel?

Nonn: Nachhaltigkeit zum Beispiel steckt in der Ur-DNA der Genossenschaften. Selbstständige Existenzen sollen über Generationen hinweg erhalten bleiben. Unsere Unternehmenskultur ist geprägt von Stabilität, Vertrauen und Zusammenhalt. Gleichzeitig steht die genossenschaftliche Struktur aus ihrer prinzipiellen Anlage heraus aber auch für ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein jedem und jeder Einzelnen sowie der gesamten Organisation gegenüber.

Der Wind auf dem Arbeitsmarkt hat sich gedreht, man spricht mittlerweile von einem Arbeitnehmermarkt. Unternehmen stehen vor der Herausforderung, viele Stellen nicht mehr adäquat besetzen zu können. Glauben Sie, als Genossenschaft kann die REWE Group da punkten?

Nonn: Ein genossenschaftliches Konstrukt bietet viel Sicherheit und Stabilität. Eine genossenschaftliche Organisation ist ihren Mitgliedern verpflichtet. Das unterscheidet die Genossenschaft zum Beispiel von einem börsennotierten Unternehmen, das Quartalszahlen liefern muss, das dafür sorgen muss, dass der Aktienkurs oben bleibt. Wir als Genossenschaft können unser Unternehmen so positionieren, dass wir weiterhin einfach ein gutes Geschäft machen. Das ist ein großer Unterschied. Das merkt man ja auch: Bei REWE gab es noch nie eine große Entlassungswelle. Wenn ich heute lese, dass erfolgreiche Unternehmen zum Beispiel 10.000 Stellen abbauen, muss ich sagen, so etwas hat es bei REWE noch nie gegeben. Das meine ich mit Stabilität. Ich glaube, dass die REWE allein durch ihre Marktpräsenz und ihre Entwicklung in den letzten Jahren an Attraktivität gewonnen hat. Diese Wertekultur, wie geht man miteinander um, wie arbeitet man zusammen, all das ist nur schwer nach außen zu vermitteln, das muss man erleben. Es ist deshalb wichtig, jungen Leuten die Möglichkeit zu bieten, in die REWE reinzuschnuppern.

Zudem ist das Spektrum ja riesig, wenn man nicht nur auf die Verwaltungsbereiche schaut.

Nonn: Das stimmt. Auch in Hinblick auf die Selbstständigkeit sind wir daran interessiert, sowohl interne Mitarbeitende als auch Externe zu gewinnen, um selbstständige Existenzen zu gründen. Dazu haben wir Modelle entwickelt, die betriebswirtschaftlich attraktiv sind. Gleichzeitig ist der Einstieg in die Selbstständigkeit bei uns etwas, das Kenntnisse in vielen unterschiedlichen Fachrichtungen erfordert, zum Beispiel Ware, Personal, Marketing, Warenbeschaffung und vieles mehr. Das ist auch für Interessierte mit Bachelor- oder Master-Abschluss eine spannende Perspektive, gerade im Vergleich zur Fachposition. Wie wir im genossenschaftlichen Grundgedanken diese Selbstständigkeit pflegen, entwickeln und verstehen, das ist etwas Besonderes. Für mich ist bei der REWE die Selbstständigkeit an sich schon ein Wert.

Genossenschaften sind immer dann en vogue, wenn der Markt als Steuerungsinstrument versagt hat – würden Sie das unterschreiben? 

Nonn: Vielleicht nicht in dieser Absolutheit und Intensität. Wenn der Markt wirklich versagt, dann haben wir alle ein Problem, egal in welcher Form. Aber: In unsicheren Zeiten zählt die erwähnte Stabilität. Wir haben es in der Finanzkrise gesehen, welche die Genossenschaftsbanken etwas besser überstanden haben als andere Geldinstitute. Zurück zum Lebensmittelhandel: Wer sind die zwei Handelsorganisationen, die länger als alle anderen Händler im Markt erfolgreich sind? Das sind die Genossenschaften REWE und Edeka.

Die Form der Genossenschaft ist nicht immer einfach. Es kostet Zeit, viele Stimmen zu hören und zu moderieren, ehe eine Entscheidung getroffen wird. In anderen Rechtsformen kann das Management Dinge mitunter sehr viel schneller umsetzen. Wie würden Sie das aktuell, wo ja politisch alles im Umbruch ist, bewerten?

Nonn: Mit dem, was Sie gesagt haben, ist ein Irrglaube verbunden. Genossenschaft heißt ja nicht, wir machen Basisdemokratie, sondern wir müssen die Strukturen schaffen, in denen wir handlungsfähig bleiben. Unsere Strukturen erlauben es zum Beispiel, Knowhow aus den Märkten in die Management-Entscheidungen einfließen zu lassen. Vielleicht hat man die eine oder andere Abstimmungsschleife mehr als in einem Familienunternehmen, aber dank der Abstimmung mit den Kaufleuten haben wir eine viel höhere Umsetzungsakzeptanz. Ich habe in all den Jahren bei REWE nie den Eindruck gehabt, dass wir es nicht schaffen, die situativ notwendige Geschwindigkeit zu erreichen. Das ist für mich eine Frage der Organisation und der Kultur. Natürlich diskutieren wir, das ist ja auch oft notwendig, um alle Facetten zu beleuchten. Aber wenn es dann gilt, ein Thema auf die Straße zu bringen, haben wir meines Erachtens noch nie unnötig Zeit verloren.

Wie sieht es eigentlich aktuell im nationalen Vollsortiment aus? Wie ist es um den Kaufleute-Nachwuchs bestellt?

Nonn: Es sieht gut aus! Wir haben aktuell circa 110 Interessent:innen in der Pipeline, die in der Einarbeitung zum Kaufmann/zur Kauffrau sind und die darauf warten, dass sie sich auf einen ausgeschriebenen Standort bewerben können. Und es kommen ständig neue Interessent:innen hinzu. Der größte Teil unserer neuen Kaufleute sind ehemalige Marktmanager:innen. Zusätzlich machen wir neue Kanäle auf. So bereiten wir in einem zweijährigen Trainee-Programm junge Leute mit einem akademischen Abschluss auf die Selbstständigkeit vor. Dieses Angebot wird sehr gut genutzt. Seit zwei Jahren haben Kaufleute zudem die Möglichkeit, Abiturient:innen in ihrem Unternehmen ein Dualstudium anbieten zu können. Diese lernen im Markt die praktische Seite kennen, studieren nebenbei, erreichen einen allgemein gültigen Hochschulabschluss und begeben sich so auf den Weg in die Selbstständigkeit mit REWE. Das ist eine super Geschichte. Dann gibt es auch Interessent:innen, die aus einer Vertriebsfunktion der REWE kommen und auch solche, die von außerhalb auf uns zukommen. Und selbstverständlich gibt es auch Nachwuchskräfte aus den Kaufleute-Märkten, die sich für den Schritt in die Selbstständigkeit interessieren. Kurzum, der Pool ist gut gefüllt. Mein Ziel war und ist immer: Wir müssen in allem, was wir rund um die Selbstständigkeit tun und anbieten, so attraktiv sein, dass die Interessent:innen Schlange stehen, um sich mit der REWE selbstständig machen zu wollen.

Die REWE Group hat in diesem Jahr erstmals eine Genossenschaftskampagne gestartet, die sich in erster Linie an politische Stakeholder richtet. Was haben wir der Politik als Alleinstellungsmerkmal zu bieten?

Nonn: Die Politik, insbesondere die Wirtschaftspolitik, hat einen starken Fokus auf den Mittelstand. Und wir sind als Genossenschaft eine der größten Kooperationen für Mittelständler. Indem wir verdeutlichen, dass wir als Organisation für selbstständige Existenzen stehen – mit allem, was dazu gehört, wie Arbeitsplätze, Infrastruktur in Ortschaften etc. – erkennt die Politik, dass wir eine stabile Säule unserer Wirtschaft sind. Wir als Händler sind auch in krisenhaften Zeiten wie Corona oder der Flutkatastrophe im Ahrtal zuverlässig und als Erste helfend zur Stelle. Tugenden wie Stabilität, Beständigkeit und Zuverlässigkeit über Generationen müssen wir noch mehr in den Köpfen verankern. Darauf zielt die Genossenschaftskampagne ab. Die Frage, was uns unterscheidet, ist eben nicht so einfach zu transportieren. In früheren Jahrzehnten ist die REWE als Genossenschaft in der Öffentlichkeit nicht besonders in Erscheinung getreten. Auch heute sind noch viele verwundert, dass die REWE eine Genossenschaft ist. Das wollen wir ändern. Deshalb sind wir zum Beispiel in vielen Verbänden präsent, versuchen uns einzubringen und in der Genossenschaftslandschaft zu positionieren.

Erstmals in ihrer Geschichte gibt die REWE Austria seit kurzem BILLA-Märkte in die Hände von selbstständigen Kaufleuten. Wie sind die Erfahrungen bislang?

Nonn: Wir haben in Deutschland in den vergangenen Jahren sehr viel positive Erfahrung in der Zusammenarbeit mit selbstständigen Kaufleuten gesammelt. Insofern war es nur konsequent, darüber nachzudenken, ob ein ähnliches Modell mit BILLA nicht auch etwas sein könnte, um die Wettbewerbsposition in Österreich zu verbessern. Die Privatisierung ist dabei kein Selbstzweck, sondern ein betriebswirtschaftlicher Erfolgsfaktor. Wir haben den Vorteil, dass wir auf die Erfahrungen aus Deutschland zurückgreifen können. Natürlich gibt es nationale Besonderheiten zu berücksichtigen. Es ist uns gelungen, ein Modell zu entwickeln, das in Österreich erfolgreich sein wird. Im Jahr 2022 sind bereits drei BILLA-Kaufleute an den Start gegangen. Bis Ende 2023 wollen wir deren Anzahl auf 15 erhöhen.

Sind diese Kaufleute auch in einer Genossenschaft organisiert?

Nonn: Nein, noch nicht, aber es gibt Überlegungen, wenn es eine relevante Zahl an BILLA-Kaufleuten gibt, diese in einer genossenschaftlichen Struktur zusammenzubringen.

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