Ernährung ist ein hoch emotionales Thema, darüber hinaus aber auch gesellschaftlich und politisch relevant. Das ist gerade in den zurückliegenden Wochen sehr deutlich geworden. In Zeiten des Klimawandels und der globalen Biodiversitätskrise müssen wir uns alle, ob als Privatperson oder als Unternehmen, fragen, welchen Einfluss die Produktion von Lebensmitteln auf unsere Umwelt hat. Leider lautet die Antwort in vielen Fällen: Der Einfluss ist eher negativ.
Denn durch die Herstellung, den Transport und die Lagerung entstehen Umweltauswirkungen, wie Treibhausgase, Stickstoffemissionen oder Feinstaubbelastung. Sie kurbeln den globalen Klimawandel an – neben weiteren verheerenden Auswirkungen für Biodiversität oder das ökologische Gleichgewicht – und führen somit unter anderem zu extremen Wetterverhältnissen wie Überschwemmungen, Dürren oder Stürmen. Sie alle werden sich an die Bilder aus dem Ahrtal erinnern. Klimaschäden stellen also eine direkte Gefahr für Menschen dar und verursachen gleichzeitig hohe Kosten. Kosten, die wir als Gesellschaft bzw. als Steuerzahler:innen begleichen müssen – zwar nicht unmittelbar an der Ladenkasse, aber über kurz oder lang beispielsweise in Form von höheren Versicherungsabschlägen oder Steuern. Wenn also entsprechend der Grundsätze einer Marktwirtschaft alle Kosten, also auch die ökologischen Kosten, entlang der Lieferkette berücksichtigt würden, müssten Lebensmittel – aber auch das Reisen oder das Autofahren, kurzum alle Produkte und Dienstleistungen, die Umweltauswirkungen verursachen – eigentlich teurer sein.
Die „wahren Kosten“ von Lebensmitteln erforschen wir bereits seit acht Jahren, derzeit an der Technischen Hochschule Nürnberg und der Universität Greifswald, und nehmen damit auch international eine Vorreiterrolle ein. Wir freuen uns auch sehr, Teil von Horizon Europe zu sein, dem EU-Förderprogramm für Forschung und Innovation. Doch wie funktioniert das „True Cost Accounting“? Nehmen wir das Beispiel eines Joghurts, ganz egal, ob bio oder konventionell: Wir analysieren jeden Schritt der Produktionskette und ermitteln die dabei entstehenden Emissionen. Bei einem Joghurt reichen diese von der Milchviehhaltung und dem dabei entstehenden Methanausstoß über die Herstellung von Diesel für den Milchtransport oder das Ausfahren der Traktoren bis zu den Auswirkungen von Dünger(-ersatzstoffen) zur Produktion der Futtermittel für die Milchkühe. Im nächsten Schritt teilen wir die Emissionen in Wirkungskategorien wie Beitrag zu Klimawandel, Feinstaubbildung, Toxizität oder Landnutzung ein und errechnen die diesen Kategorien zugeordneten ökologischen Auswirkungen. Schließlich werden diese Auswirkungen dann noch mit dem finanziellen Schaden für Umwelt und Gesellschaft bewertet, um den „wahren Preis“ des Produkts zu erhalten.
Welche Ableitungen lassen sich hieraus ziehen? Generell lässt sich zunächst sagen: Je „tierischer“ ein Produkt, desto höher die „wahren Kosten“. Rindfleisch hat beispielsweise den höchsten Kostenfaktor, aber auch Milchprodukte – vor allem Käse, für dessen Herstellung viel Milch benötigt wird – haben hohe Folgekosten. Wir unterscheiden auch zwischen biologischer und konventioneller Produktion, und in der Regel sind biologische Folgekosten aufgrund der naturbewussteren Produktionsweise im Bio-Anbau geringer als konventionelle. Bei pflanzlichen Produkten sind die Folgekosten teilweise sogar fast marginal.
Unsere Lebensmittel müssten also größtenteils viel teurer sein, um die Folgekosten durch die Umweltbelastung ihrer Produktion abfedern zu können. Wäre es also die Lösung, einfach ab morgen alle Lebensmittel dauerhaft mit ihren „wahren Kosten“ zu bepreisen? Natürlich nicht.
Was uns wichtig ist: Es geht nicht darum, Verbraucher:innen, Landwirt:innen oder Wirtschaftsunternehmen an den Pranger zu stellen oder zu belehren. Wir verstehen unser Projekt eher als eine Art Weckruf, als Anstoß für ein Umdenken. Denn das System, das über Jahrzehnte entstanden ist, ist so nicht weiter tragbar – weder für die Umwelt noch für die Menschheit, davon sind wir überzeugt.
Wir erinnern uns: Essen ist ein hoch emotionales Thema. Hier werden nicht durchgängig rationale Entscheidungen getroffen. Aber wir möchten Bewusstsein schaffen und mit einem ganzeinheitlichen Ansatz sensibilisieren. Was wir brauchen, ist eine aufgeklärte gesellschaftspolitische Debatte darüber, was unsere Ernährung für unser Klima bedeutet; darüber, dass bereits heute Folgekosten an anderer Stelle anfallen, die von allen getragen werden müssen, was auch eine Form von Ungerechtigkeit ist; darüber, wo Ordnungspolitik eingreifen und Bildungspolitik ansetzen müssten. Die „wahren Kosten“, also die Bepreisung der ökologischen Folgekosten machen das Ganze greifbarer und nachvollziehbarer und schaffen Transparenz. Sie sollen zum Nachdenken anregen, zu bewussterem Konsum.
Dies war auch der Ansatz der Aktion „Wahren Kosten“bei PENNY. Deutschlandweit wurden vom 31. Juli bis zum 5. August 2023 in allen PENNY-Märkten die „wahren Kosten“ von neun Artikeln, u.a. aus den Kategorien Molkerei und Frische, ausgewiesen, darunter biologisch wie auch konventionell produzierte Lebensmittel, und den Kund:innen an der Kasse tatsächlich auch in Rechnung gestellt. Diese Mehreinnahmen wurden in das Projekt „Zukunftsbauer“ gesteckt, bei dem PENNY gemeinsam mit der Molkerei Berchtesgadener Land Landwirt:innen dabei unterstützt, ihre Höfe klimaschonender zu gestalten. Die temporäre Aktion hat deutschlandweit – beim Einkauf und in den Medien – für viel Diskurs und Aufklärung gesorgt und das Thema für die Verbraucher:innen greifbarer gemacht.
Die Auswertung der Aktionswoche leistet dazu einen wichtigen Beitrag. So können wir nun fundierte Antworten auf die Frage geben, wie sich die Ausweisung der wahren Kosten auf das tatsächliche Kaufverhalten ausgewirkt hat. Natürlich sind die Verkaufszahlen der entsprechenden Produkte zurückgegangen – aber weniger stark, als wir das erwartet hatten! Und beim veganen Schnitzel ist der Absatz (im Vergleich zur Vorwoche) sogar gestiegen. Unsere Hypothese: Zum einen war der Preisaufschlag bei diesem Artikel nicht allzu groß, zum anderen dürften die Käufer:innen auch insgesamt etwas affiner für die Thematik des „True Cost Accountings“ gewesen sein.
Gemeinsam mit PENNY haben wir das Thema also sozusagen bundesweit auf den Tisch gebracht. Klar ist aus unserer Sicht aber auch, dass insbesondere die Politik diese gesellschaftliche Debatte tragen und gestalten muss – immer in enger Abstimmung mit allen betroffenen Akteuren, die wichtige Impulse aus der Praxis liefern können und müssen. Schließlich geht es um Mindeststandards, um Rahmenbedingungen, um das Umkrempeln der Subventionspolitik. Deshalb sollte dieser Diskurs auch verstärkt in Brüssel geführt werden, denn dort wird über förderpolitische Maßnahmen entschieden.
Auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Ernährung brauchen wir eine offene und faktenbasierte Debatte. Dazu möchten wir mit dem „True Cost Accounting“ weiter beitragen.