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2. Juni 2023

REWE-Kauffrau Semai Akale: „Ich wollte schon lange meine eigene Chefin sein“  

Lesezeit: 8 Min.

Vor 19 Jahren startete Semai Akale mit einem Nebenjob bei REWE. Heute führt die Hessin mit eritreischen Wurzeln erfolgreich einen eigenen REWE-Markt in Mainz. Ein Gespräch darüber, wie das Leben mit drei Brüdern für die Selbstständigkeit stählt, wie man Quereinsteiger:innen zu Führungskräften formt – und welche Tipps sie Berufseinsteiger:innen gibt. 

Mainz. Am ehemaligen Zollhafen, direkt am Wasser ist ein „Stadtquartier“ fürs gehobene Wohnen entstanden, an manchen Eigentumswohnungen und -häusern wird noch gebaut. Am Eingang eines Eckhauses, zwischen Straße und Wasserkante, hohe Decke, viel Fensterglas, prangt rot und groß: REWE. Und darunter, nicht minder klein: Semai Akale.   

Die REWE-Kauffrau, deren Name an dem teuren Neubau prangt, wartet im Eingangsbereich. Eingeflochtene Braids, die über die Schulterpolster des knallroten Blazers wippen. Rot wie der Schriftzug von REWE, der sie seit fast 19 Jahren die Treue hält.  

Schon bei der ersten Begegnung im Markteingang fallen an der in Höchst bei Frankfurt geborenen Tochter einer Eritreerin zwei Besonderheiten auf: Ihr ansteckendes Lachen – und ihr scharfer Blick für Schlamperei. Ob ein:e Mitarbeiter:in achtlos über ein Papierchen am Boden hinweggeht oder ein Regal nicht gut gefüllt ist: Sie sieht es, sie moniert es, sie regelt es. Und ist das Problem behoben, lacht sie ihr Lachen.   

Porträt von Semai Akale

Über:

Semai Akale

ist selbstständige Kauffrau bei REWE.

„Ich bin eine, die ihr Wort hält“

Seit vier Jahren ist der REWE Am Zollhafen ihr Markt. Ein lang gehegter Traum, den sie mit hoher Zielstrebigkeit wahr gemacht hat – und mit allen finanziellen Ressourcen, die sie hatte. Über ihren Karriereweg erzählt Semai Akale im Gespräch: 

Fast 19 Arbeitsjahre habe ich jetzt auf dem Buckel, immer bei REWE. Ich bin eine treue Seele. Eigentlich wollte ich ja Bankkauffrau werden, da habe ich aber trotz guter Noten und vieler Praktika keine Chance bekommen. Ich denke, das lag auch an meiner Hautfarbe, an den Schaltern ist es ja eher weiß. Zu der Zeit habe ich bei REWE gejobbt, mein damaliger Chef schlug mir dann vor: Komm, mach bei mir die Ausbildung und bewirb dich nebenbei weiter bei der Bank. Nach ungefähr sieben Monaten habe ich entschieden, zu bleiben – und wollte dann alles wissen. Nach Feierabend habe ich mich zu meinem Chef ins Büro gesetzt und gefragt, gefragt, gefragt. Ich bin ihm sicher auf die Nerven gegangen, aber als Azubi hat man ja auch eine Holpflicht.   

Als er mich, noch als Azubine, zu seiner Urlaubsvertretung machte, wurde mir klar, wie abwechslungsreich der Job tatsächlich ist. Nach meiner auf zwei Jahre verkürzten Ausbildung arbeitete ich drei Jahre lang als Assistentin, immer an wechselnden Standorten, immer Neueröffnungen. Damals wurde ich auch in den Strategie-Ausschuss-Sitzungs-Kreis (SAS) gewählt. Ich glaube, mich haben vor allem die Frauen gewählt. Ich war die jüngste und zeitweise die einzige Frau, sechs Jahre lang war ich Mitglied. Die Erfahrungen, die ich dort machen durfte, waren mega. In der Zeit habe ich angefangen, über eine Selbstständigkeit nachzudenken.   

Einige Jahre später wurde dann mein jetziger Markt ausgeschrieben, den wollte ich wirklich gerne haben. Als ich den Zuschlag bekam, hatte ich schon Muffensausen und dachte nur: ‚Was hast du gemacht. Jetzt hast du die große Klappe gehabt, jetzt musst du es auch durchziehen‘. Aber, wie eingangs gesagt, ich hatte ja nichts zu verlieren. Für meine Einlage habe ich mein gesamtes Geld zusammengelegt, Sparpläne aufgelöst. Es hat ganz genau gereicht, danach war ich blank. Für mich war das aber kein schlimmes Gefühl, weil ich das kenne. Meine Mutter war alleinerziehend mit vier Kindern, wir hatten nie viel Geld, und ich kann mich gut mit Kleinigkeiten zufriedengeben. Ich habe mir damals also gedacht: ‚Was kann dir schon groß passieren. Im Notfall gehst du angestellt zurück in deinen Job und gut ist…‘ Aber das wird vermutlich nicht passieren. Ich bin sehr ehrgeizig, und bis hierhin war es harte Arbeit. 

Ich wollte schon seit langem meine eigene Chefin sein. Ich wollte mein eigenes Team, meine eigenen Mitarbeitenden fördern und sie langfristig an mich binden. Die meisten meiner Leute sind Quereinsteiger:innen. Zwischen dem Verlassen meiner alten Filiale und dem Aufbau meines Marktes lagen damals nur drei Monate. Das ist nicht viel Zeit, und deswegen habe ich mir gesagt: `Semai, du stellst alle ein, die sich bewerben´. Viele kamen zwar nicht aus dem Handel, aber mir gefiel ihre Haltung dem Arbeiten gegenüber. Ich habe jedes Gespräch persönlich geführt und anfangs alles selbst gemacht und erklärt, weil ja kaum einer wusste, wie Handel geht.   

REWE Kauffrau Semai Akale mit Mitarbeiterin Esra Yikin

Akale mit Mitarbeiterin Esra Yikin

Ich bin in der Zeit von morgens bis abends im Laden herumgeturnt und habe meinen jetzigen Leuten alles beigebracht, bis ich merkte, dass ich ein wenig müde wurde und manchmal kurz davor war, auf dem Heimweg am Steuer einzuschlafen. Also war klar: Ich musste schauen, wen ich von meinem Team an die Hand nehmen und für Führungsaufgaben fitmachen kann. Den oder die habe ich angesprochen und aufgezeigt, was sie mit einem gewissen Maß an Engagement und Biss bei mir erreichen können. Ich bin eine, die ihr Wort hält. Ich bin auch sehr direkt. Wenn mir etwas nicht passt, sage ich das und gebe danach trotzdem einen Kaffee aus. Heute habe ich rund 55 Mitarbeitende, auf die ich echt stolz bin. Fluktuation haben wir unter den Festangestellten kaum.  

Personalführung ist mein Thema, das gebe ich nicht ab. Nur so bekomme ich mit, wie es meinen Leuten geht. Und ich will wissen, wie es ihnen geht. Ich kenne meine Leute sehr gut und bin bei jedem Problem da, egal welches. Ich kann ja nur verstehen, was mit ihnen los ist, wenn sie mit mir reden. Und das tun sie, auch diejenigen, die nicht so gern über ihre Gefühle sprechen. Aber auch die kommen und reden. Vieles kann ich nachempfinden, weil ich in meinem Leben selbst vieles erlebt und gesehen habe. Und ich versuche dann, eine Lösung für das Problem zu finden. Mir ist am liebsten, wenn ich es lösen kann, denn dann habe ich es aus dem Kopf. 

Mein Team ist kunterbunt, aber mir ist egal, wo jemand herkommt. Mir ist wichtig, was für ein Mensch das ist.

Semai Akale
Porträt von Semai Akale
Semai Akale

Reden ist meine Hauptaufgabe als Chefin. Damit habe ich Erfolg, warum sollte ich das ändern? Das ist natürlich auch Arbeit, von fast allen Mitarbeitenden fast alles zu wissen und nachzufragen: Wie ist die OP vom Hund gelaufen, wie geht’s deinem Kind …? Umgekehrt kümmern sich meine Mitarbeitenden mittlerweile auch um mich. Manchmal sagen sie: Du siehst müde aus Chefin, geh nach Hause und ruh dich aus, wir kriegen das hier schon hin. 

Mein Team ist kunterbunt, 13, 14 Nationalitäten. Aber mir ist egal, wo jemand herkommt, ob sie einen Abschluss hat, ob er schwul ist. Mir ist wichtig, was für ein Mensch das ist. Ein gutes Beispiel ist mein Getränkeshopleiter: Er kommt aus Eritrea, so wie meine Familie. Den hab ich zufällig, als hier alles noch Baustelle war, kennengelernt, und gefragt: Wie lange bist du hier. Zwei Jahre? Und so gut sprichst du schon Deutsch?! Für mich war gleich klar: Der ist ehrgeizig. Also habe ich ihn eingeladen, sich bei mir zu bewerben. Er hat dann zwei Jahre als Verkäufer gearbeitet, jetzt ist er Führungskraft.   

Für mich selbst ist es eigentlich kein Thema, dass ich eine selbstständige Frau mit Migrationshintergrund bin – weil ich es gar nicht erst zum Thema mache. Ich werde das zwar oft gefragt. Aber für mich ist es schlicht und einfach selbstverständlich, dass ich den Job als Frau genauso gut kann wie ein Mann. Ich mache einfach.   

Man darf sich nicht kleinmachen lassen. Ich bin mit drei Brüdern aufgewachsen, das hat mich sicher gestärkt. Sie sind alle sehr stolz auf mich, weil ich so weit gekommen bin. Ich war lange jemand, die nie sehr stolz auf sich war. Das musste ich erst lernen. Als mir kürzlich klar wurde, dass ich genau das geschafft habe, was ich mir vor fünf Jahren vorgenommen hatte, da habe ich zu mir gesagt: Semai, jetzt kannst du auch mal stolz auf dich sein. 

Meine Tipps für potenzielle Selbstständige: Es braucht Wissbegier, Ehrgeiz, Durchhaltevermögen – und den Glauben an sich selbst. Man darf nie den Kopf hängen lassen, wenn etwas nicht gleich funktioniert. Arbeitet an eurem Selbstwertgefühl und hört nicht auf negative Stimmen. Dann kann euch keiner was.

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