Nachhaltigkeit

13. Dezember 2019

Faire Beding­ungen für Arbeiter: toom macht Tannen­-Anbau sicher

Lesezeit: 11 Min.

Tannenduft liegt in der Luft: Der Weihnachtsbaumverkauf startet. Doch wussten Sie, dass mutige Georgier in 30 Meter Höhe klettern müssen, um die Samen für unsere nadeligen Lieblinge zu ernten? Ein gefährlicher Job. toom und „Fair Trees“ unterstützen seit 2018 faire Arbeitsbedingungen bei der Ernte und soziale Projekte in der Region. Was ist daraus geworden? Sehen Sie im Film, was die Arbeiter und Helfer vor Ort dazu sagen. Fair Trees-Gründerin Marianne Bols verrät uns im Gespräch, wie die Idee zur Stiftung entstanden ist, ihre Pläne und Visionen. Auch Kai Battenberg, bei toom zuständig für den Bereich Nachhaltigkeit, war in Georgien. Was er gesehen und erlebt hat, erzählt er im Interview.

Weihnachten ohne Weihnachtsbaum? Für die meisten deutschen Haushalte unvorstellbar. Noch dazu muss er den höchsten Ansprüchen gerecht werden: Sattgrün und besonders gerade soll er sein und dazu dichte Äste mit weichen Nadeln tragen. Rund 30 Millionen Christbäume werden pro Jahr in Deutschland gekauft. Drei Viertel der Kaufentscheidungen fällt dabei auf die Nordmanntanne, die damit der beliebteste Weihnachtsbaum der Deutschen ist. Doch bevor die Tanne in den heimischen Wohnzimmern erstrahlt, hat sie bereits einen langen Weg hinter sich: 80 Prozent der Samen für die Nordmanntannen stammen aus der Region Racha, einem wirtschaftlich schwachen und abgelegenen Gebiet in Georgien.

Tannensamen werden unter lebensgefährlichen Bedingungen geerntet

Die Samen der Bäume dort bringen Tannen hoher Qualität hervor, die mit ihren sattgrünen, weichen Zweigen und Nadeln auch optisch den hohen Anforderungen der deutschen Kunden entsprechen. Allerdings werden die Samen jedes Jahr im September von ungelernten Arbeitskräften aus den umliegenden Dörfern geerntet. In diesen Wochen klettern sie in die bis zu 30 Meter hohen Baumwipfel, um die begehrten Zapfen zu pflücken – häufig ohne jegliche Schulung oder Sicherheitsausrüstung. So besteht ein hohes Risiko für teils lebensbedrohliche Arbeitsunfälle. Darüber hinaus sind die Erntehelfer selten versichert und die Löhne können stark variieren.

toom und „Fair Trees“: Maßnahmenkatalog für ausreichenden Arbeitsschutz

Um faire Bedingungen und ausreichenden Arbeitsschutz bei der alljährlichen Samenernte zu garantieren, hat toom gemeinsam mit der dänischen Stiftung „Fair Trees“ einen Maßnahmenkatalog erstellt: Darin stellen sie zum Beispiel sicher, dass die Pflücker vor der Ernte ein fünftägiges Klettertraining unter deutschen Standards mit anschließender Prüfung absolvieren und jährlich an einem Erste-Hilfe-Kurs des Roten Kreuzes teilnehmen. Zudem stellen sie allen Erntehelfern ein professionelles Kletter-Equipment, zahlen ihnen faire Löhne und bieten jedem Arbeiter eine Unfallversicherung während der Erntesaison. Darüber hinaus sind die Erntehelfer und ihre Familien das ganze Jahr über krankenversichert.

Gruppenbild des Roten Kreuzes sowie Kletterer

Vertreter der Region und des Roten Kreuzes sowie der Klettertrainer Michael Kraus und mehrere Kletterer.

toom pflanzt für jede verkaufte Nordmanntanne einen Baum aus fairer Ernte nach

Seit der Weihnachtssaison 2018 tragen außerdem alle Nordmanntannen das Pro Planet-Label, an dem Kunden nachhaltigere Produkte erkennen können. Denn toom für jede verkaufte Nordmanntanne einen Weihnachtsbaum aus fairer Ernte nach. Zusätzlich unterstützt toom mit jeder vertriebenen Tanne die Stiftung „Fair Trees“ dabei, zahlreiche soziale Projekte in der Ernteregion in Georgien umzusetzen. So werden Schulen mit Lern- und Sportmaterialien ausgestattet, Stipendien vergeben und eine Zahnarztpraxis für Kinder betrieben. Außerdem bekommen diese jährlich einen gründlichen Gesundheitscheck durch die medizinische Klinik „Curatio“.

Viel mehr als ein Weihnachtsbaum

Marianne Bols ist Gründerin der Fair Trees Organisation. Dazu gehört unter anderem eine Stiftung, die sich für soziale und wirtschaftliche Entwicklungsarbeit in Georgien engagiert. Im Gespräch erinnert sie sich an die Anfänge, erzählt von der Motivation, den Erfolgen und Plänen. Und von ihrer ganz persönlichen Vision.

Frau Bols, 2007 haben Sie das globale Fair Trees Konzept entwickelt. Wie kamen Sie auf diese Idee?

Marianne Bols: Eines Tages stand ich in diesem unglaublich schönen Wald – fast schon ein Urwald – voller Nordmanntannen in Racha, diesem kleinen Ort in Georgien. Von dort stammen die Samen von 80 Prozent aller Nordmanntannen, unserer beliebtesten Weihnachtsbäume. Plötzlich wurde mir klar, wie groß der Gegensatz ist: Zwischen diesem prachtvollen Reichtum der Natur, und der Armut der Arbeiter, die dort ihr Leben riskieren, um die Samen zu ernten. Das geringe Einkommen der Zapfenpflücker steht im grellen Kontrast zum Milliardenumsatz in Europa. Ich beschloss, etwas dafür zu tun, dass sich das ändert.

Marianne Bols mit einem Fair-Tress-Baum
Über:
Marianne Bols

Marianne Bols ist Gründerin der Fair Trees Organisation samt einer Stiftung, die sich für soziale und wirtschaftliche Entwicklungsarbeit in Georgien engagiert.

Also eine Gewissens-Entscheidung?

Marianne Bols: Eher inspiriert von den Ideen des fairen Handels. Als Dänin bin ich so selbstverständlich mit hohen Standards aufgewachsen: Arbeitssicherheit, Pflichtversicherungen etc. – alles kein Problem. Eben typisch westlich. Ich empfinde es als meinen Auftrag mich dafür einzusetzen, dass sich dies in dem Land, aus dem unsere Weihnachtsbäume kommen, auch positiv entwickelt. Ansonsten hätte diese urchristliche Tradition für mich einen sehr bitteren Beigeschmack, denn Weihnachten ist das Fest der Liebe, wo es auch um andere Menschen geht.

Wie kann man als dänische Privat-Person Einfluss nehmen auf die Arbeitsbedingungen in Georgien?

Marianne Bols: Indem man ein Fair Trade Unternehmen und eine Stiftung gründet, zum Beispiel. So sind Fair Trees Seeds LtD und Fair Trees Fund entstanden. Fair Trees Seed LtD ist ein kleines Unternehmen, beweglich, mit flachen Hierarchien. Das ist für uns ein Vorteil: Wir können Maßnahmen und Beschlüsse schnell umsetzen. Außerdem kooperieren wir mit örtlichen Institutionen, zum Beispiel dem georgischen Roten Kreuz und dem SOS-Kinderdorf in Georgien.

Wir Menschen müssen verstehen, dass wir der Natur für alles, was wir ihr nehmen, auch etwas zurückgeben müssen.

Marianne Bols
Marianne Bols mit einem Fair-Tress-Baum
Marianne Bols

Wenn Sie an die Anfänge von Fair Trees zurückdenken: Was waren Ihre ersten Errungenschaften?

Marianne Bols: Zuerst haben wir Sicherheitsausstattungen gekauft und in kürzester Zeit Sicherheits-Trainings für die Arbeiter implementiert, das war uns das Allerwichtigste. Durch Verträge konnten wir den Arbeitern ein stabiles Einkommen sichern. So haben wir erreicht, dass die Arbeiter besser bezahlt und auch versichert werden, ebenso wie ihre Familien.

Doch es ging Ihnen nicht „nur“ um die Arbeitsbedingungen?

Marianne Bols: Nein, natürlich auch um Förderung der Produktion von Weihnachtsbäumen nach nachhaltigen, umweltfreundlichen Grundsätzen. Meine Vision ist eigentlich ganz einfach: Wir Menschen müssen verstehen, dass wir der Natur für alles, was wir ihr nehmen, auch etwas zurückgeben müssen. Nur so kann eine Balance entstehen, nur so haben wir alle eine Zukunft. Der Begriff Nachhaltigkeit kommt ja ursprünglich aus der Forstwirtschaft und bedeutet, dass man aus einem Wald pro Zeiteinheit nur so viel entnehmen darf, wie im gleichen Zeitraum wieder nachwächst. Entnimmt man mehr, geht der Wald in seiner Substanz zurück.

Wem fühlen sie sich mehr verpflichtet – der Natur, oder dem Menschen?

Marianne Bols: Das kann und will ich nicht trennen. Genauso wie in der Agenda 2030 der UNO mit ihren 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung hat man in der Fair Trade Bewegung erkannt, dass alle Herausforderungen der Menschheit miteinander verflochten sind. Die Prinzipien des fairen Handels sind für mich heute angesichts des Klimawandels, aber auch zum Beispiel der Flüchtlingsproblematik aktueller und umfassender denn je. Es geht um Verantwortung gegenüber der Natur, und genauso auch gegenüber den Menschen: Warum sollte ein armer, schlecht bezahlter, nicht versicherter Georgier weiter diesen gefährlichen Job machen? Und weitergedacht: Warum sollte er in seinem Land bleiben wollen?

Nicht viele Verbraucher sind sich bewusst, dass ihre Nordmanntanne ursprünglich aus einer kleinen, armen Region stammen.

Marianne Bols
Marianne Bols mit einem Fair-Tress-Baum
Marianne Bols

Allein in Deutschland werden pro Jahr circa 30 Millionen Weihnachtsbäume gekauft, davon rund 75 Prozent Nordmann-Tannen. Der Vertrieb erfolgt über einzelne Händler, und auch über Großhändler wie toom Baumarkt. Mit toom arbeiten Sie seit zwei Jahren zusammen. Wie funktioniert das?

Marianne Bols: Ausgesprochen gut. Wir sehen die REWE Group definitiv als Pionier in Sachen fairer Weihnachtsbaum-Vertrieb. Mich beeindruckt das Engagement der REWE Group beziehungsweise toom sehr, denn es ist ihnen ernst damit, sie kümmern sich wirklich. Kai Battenberg zum Beispiel, mit dem ich in enger Kooperation arbeite, war sogar hier vor Ort in Georgien. Für uns war ganz wichtig, dass er die Situation der Arbeiter mit eigenen Augen sehen und erleben konnte.

Was ist Ihr Ziel für die nächsten Jahre?

Marianne Bols: Wir möchten an das anknüpfen, was wir bereits auf den Weg gebracht haben, und es weiter ausbauen, weil wir das 12. Weltziel der Agenda 2030 ernst nehmen:  Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherstellen. Zudem mehr Transparenz für den Kunden schaffen: Nicht viele Verbraucher sind sich bewusst, dass ihre Nordmanntanne ursprünglich aus einer kleinen, armen Region stammen. Denn viele Händler werben für die Nordmanntanne als ein rein lokales Produkt – also „Made in Germany“ oder „Made in Denmark“. Und das, obwohl sie meist dort nur aufgezogen wurden. Eigentlich müsste man, wie bei Lebensmitteln die Zusammensetzung, die gesamte Lieferkette abbilden. Also auch, woher die Samen stammen.

Welche konkreten Projekte und Maßnahmen wurden mit dem Fair Trees Fund 2018 und 2019 unterstützt? Welche Projekte sind geplant?

Neue Projekte:

  • Start einer 3jährigen Kooperation mit dem Roten Kreuz Georgien (u.a. Summer Camp für 50 Jugendliche, Erste Hilfe Schulungen in Kindergärten und Schulen, Katastrophenschutzschulungen)

  • Eröffnung von Chemie- und Physiklaboren in drei Schulen, mit Begleitung von dänischen Lehrern)

  • Spende von Materialien für eine Kunstschule

  • Spende von Möbeln und Fernsehern für ein Waisenhaus

  • Ausweitung der Kinderzahnarztpraxis auf eine weitere Region mit 500 Kindern

Bereits umgesetzte Projekte:

  • Unfallversicherung für die Ernteelfer während der Ernte-Saison

  • Krankenversicherung für die Arbeiter und ihre Familien

  • faire Löhne für die Ernteelfer

  • Ausstattung mit professionellem Kletter-Equipment

  • mehrtägiges Klettertraining mit anschließender Prüfung sowie einem Erste-Hilfe-Kurs des Roten Kreuzes für die Arbeiter

  • Aufbau einer Kinderzahnarztpraxis

  • jährlicher Gesundheitscheck der Kinder in der Klinik „Curatio“

  • Krebsscreening

  • Finanzierung von Sport- und Schulmaterial für die Kinder der Arbeiter

Im Jahr Zwei: Was haben wir inzwischen erreicht?

Um sich persönlich vor Ort ein Bild zu machen, ist Kai Battenberg in diesem Jahr nach Georgien gefahren. Dort hat der toom-Senior Manager Sustainability mit den Arbeitern und Kooperationspartnern gesprochen.

Herr Battenberg, seit dem vergangenen Jahr kooperieren Sie mit „Fair Trees“. Hintergrund: Der Schutz von Arbeitern, die in Georgien für unsere Weihnachtsbäume Zapfen ernten. Was ist daraus geworden?

Kai Battenberg: Als toom stehen wir weiterhin voll und ganz hinter der Kooperation und werden auch im Jahr 2019 nur Nordmanntannen verkaufen, für die faire Bäume nachgepflanzt werden. Vor Ort kann man spüren, wie durch unser finanzielles Engagement neue soziale Projekte mit großartigen Partnern längerfristig geplant und umgesetzt werden können.

Porträt von Kai Battenberg
Über:
Kai Battenberg

Kai Battenberg ist verantwortlich für Nachhaltigkeit bei toom.

Sie waren gerade selbst in Georgien, um sich vor Ort ein Bild zu machen. Mit welchen Eindrücken sind Sie zurückgekehrt?

Kai Battenberg: Besonders die sozialen Projekte vor Ort bei unserer Reise haben einen starken Eindruck hinterlassen. Die Organisation unterstützt viele sinnvolle Aktivitäten vor Ort, die ohne externe Unterstützung nicht denkbar wären. Darunter die Eröffnung von Physik- und Chemielaboren in drei Schulen oder die breit gefächerte Kooperation mit dem Roten Kreuz Georgien. Im Rahmen der Kooperation wurden zum Beispielzahlreiche Erste Hilfe- und Katastrophenschutzschulungen durchgeführt und 50 Kinder und Jugendliche konnten in diesem Jahr an einem Sommercamp teilnehmen.

Warum ist die Kooperation mit Fair Trees toom so wichtig?

Kai Battenberg: Weihnachtsbäume spielen als wichtiges saisonales Sortiment, aber auch als sehr emotionale, traditionelle Artikel bei toom eine große Rolle. Wenn man sich dann auf die Suche nach den Ursprüngen unserer Nordmanntannen macht, stößt man schnell auf die Herausforderungen, die bei der Ernte vor Ort in Georgien bestehen. Hier wollten wir einfach unseren Teil dazu beitragen, dass die Samen für neugepflanzte Nordmanntannen aus fairer und sicherer Ernte stammen. Darüber hinaus sind wir stolz darauf, dass wir auch soziale Projekte in der Region mit unterstützen können.

Video

02:40

Menschen klettern auf Bäumen

Fair Trees

Es ist ein riskanter Job: In 30 Meter Höhe klettern die georgischen Arbeiter, um die Tannen-Samen zu ernten. toom und Fair Trees unterstützen seit 2018 faire Arbeitsbedingungen bei der Ernte und soziale Projekte in der Region.