Nachhaltigkeit

30. November 2022

Diversity: „Karriere ist keine Frage des Alters“

Alter ist eine der Kerndimensionen von Diversity. Und doch spielt Altersdiversität häufig eine Nebenrolle. Warum das Thema uns alle angeht – und wie wir uns als REWE Group dafür aufstellen.
Lesezeit: 10 Min.

Junge Talente gewinnen und fördern: Das ist im sogenannten War for Talents für viele Unternehmen oberstes Ziel. Dabei schlummern auch in älteren Mitarbeitenden große Potenziale. Warum wir als REWE Group auf einen Mix der Generationen setzen – und was wir im Rahmen des „audit berufundfamilie“ dafür tun: REWE Group-Personaler Michael Sigmund im Interview.

Zwischen mittlerem Alter und Renteneintritt liegen lange Jahre, die vor allem angesichts des demografischen Wandels nicht verschenkt werden dürfen. Nicht von Arbeitgeber, Führungskräften und Kolleg:innen, die ein steigendes Alter unter Umständen mit abnehmender Leistungsfähigkeit verbinden. Aber auch nicht von denjenigen „Babyboomern“ selbst, denn: Alter schützt vor Entwicklung nicht – wenn man es rechtzeitig und richtig angeht. Daher macht sich REWE Group-Personaler Michael Sigmund für lebenslanges Lernen stark. Ein Gespräch wider überholte Klischees und für bedingungslose Lebensfreude.

Michael Sigmund, wir sprechen heute über ein Thema mit Seltenheitswert, nämlich über ältere Menschen im allgemeinen und ältere Berufstätige im speziellen. Wobei, nicht die Älteren haben in unserer Gesellschaft Seltenheitswert, sondern dass man darüber spricht. Warum ist das so?

Michael Sigmund: Nun, Ich finde das sehr verständlich, weil wir alle das Thema Alter, Älterwerden und damit schlussendlich auch den eigenen Tod, gerne verdrängen möchten. Wenn wir an „Altern“ denken, dann verbinden wir damit hauptsächlich den Abbau von Fähigkeiten und Verluste, das macht Angst. Dass wir uns parallel auch ständig weiterentwickeln, dass Potenziale wie Erfahrungswissen zunehmen, dass wir uns verändern und anpassen und sich dadurch auch neue Chancen und Gelegenheiten ergeben können – das ist uns leider oft gar nicht bewusst.

Dazu kommt aber natürlich, dass sich die Arbeitswelt weiterhin rasant verändert. In unserer schnelllebigen, komplexen und unbeständigen Welt sind aktuelles Wissen und ständiges Anpassen an das Neue sehr gefragt. Und da geraten die wertvollen Erfahrungen und erfolgreichen Strategien der Älteren schon mal in den Hintergrund.

Porträt von Michael Sigmund

Über:

Michael Sigmund

war in der Aus- und Weiterbildung tätig, dann in der Personalentwicklung und nun im Kompetenzcenter Zentrale bei der REWE Group.

Was heißt eigentlich Alter oder älter werden?

Michael Sigmund: Wikipedia sagt, Alter ist die Lebensphase zwischen dem mittleren Erwachsenenalter und dem Tod. Ich glaube, das ist ein guter Ausgangspunkt, wir sollten Alter oder Älterwerden also nicht als ein plötzlich eintretendes negatives Ereignis ansehen, auf das wir nur reagieren können. Im Gegenteil, wir sollten es als fortwährenden Prozess begreifen, den wir proaktiv, also frühzeitig und vielfältig gestalten können. In diesem Sinne ist es gut, möglichst früh alt zu werden – auch wenn sich das im ersten Moment erstmal komisch anhören mag.

Wie wird man denn „richtig“ älter – welche Tipps hast Du dafür?

Michael Sigmund: Da möchte ich gerne noch einmal auf das Stichwort „Alter als Prozess“ zurückkommen: Viele Probleme ordnen wir irrtümlich dem Alter als solches zu. Wir übersehen dabei aber die Bandbreite unserer eigenen Möglichkeiten. So bestimmen nur etwa zehn bis 30 Prozent der Gene unsere Gesundheit und unsere Lebenserwartung, der Rest geht auf das Konto unserer individuellen Lebensführung. Das bedeutet: Entscheidenden Einfluss darauf, wie wir altern, haben Faktoren wie gesunde Ernährung, ausreichend Schlaf und Bewegung, soziale Bindungen sowie ein gesundes Maß an Außenreizen und Belastungen. Wichtig finde ich hier auch, dass wir abseits der Arbeit und aller Verpflichtungen ein persönliches Herzensthema haben, für das wir brennen und das uns Lebensfreude pur schenkt, zum Beispiel ein Hobby. Und je näher das Berufsende kommt, umso mehr geht es auch darum, sich mit Abschied und Loslassen auseinanderzusetzen. Und sich, wie schon erwähnt, zu fragen, was an herz- und sinnfüllenden Dingen in mein nachberufliches Leben kommen darf.

Wenn Altern ein Prozess ist: Wann sollten wir damit beginnen, uns Gedanken darum zu machen?

Michael Sigmund: Ab 40, 45 Jahren, also mit dem Beginn des zweiten Erwachsenenalters, bei manchen auch als Midlifecrisis bekannt. Viele Herausforderungen sind nun schon bewältigt, wie die Etablierung im Beruf oder die Familiengründung. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass wir uns zu Gewohnheitstieren entwickelt haben. Aber genau zu diesem Zeitpunkt werden andere Themen immer wichtiger, wie Gesundheitsvorsorge, die eigene Persönlichkeits- und Sinnentwicklung oder die Pflege einer vielleicht eingefahrenen Paarbeziehung. Daher sollten wir nun achtsam auf unsere Lebensbalance schauen und unseren Alltag entsprechend anreichern.

Wie unterstützt die REWE Group diesen Prozess als Arbeitgeber?

Michael Sigmund: Letztlich zahlen viele unserer Maßnahmen, um Beruf und Privatleben besser zu verbinden, auch auf das Thema Altersdiversität ein. Ein Thema insbesondere für ältere Mitarbeitende ist die Unterstützung in Pflegesituationen. Um Beruf und Privatleben bestmöglich miteinander in Einklang zu bringen, bietet die REWE Group über den Kooperationspartner awo lifebalance GmbH eine schnelle und professionelle Unterstützung bei der Organisation qualifizierter Betreuung für die Kinder und pflegebedürftigen Angehörigen. Auch die Möglichkeit eines Sabbaticals wird nicht nur von jungen Kolleg:innen genutzt, sondern kann eine Chance für Ältere sein, eine Auszeit vom Arbeitsalltag zu nehmen. Und wenn es auf den Ruhestand zugeht, ist Jobsharing eine Option, um einen guten Übergang zu ermöglichen.

Hinzu kommen die Möglichkeit, an Schutzimpfungen oder Vorsorgeuntersuchungen teilzunehmen, das Kursprogramm „Fit.Netz“ und die Gesundheitsplattform „Gemeinsam.topfit“. Wir bieten eine psychosoziale Beratung und zusätzlich mit dem Projekt „LoS!“ („Lebensphasenorientierte Selbsthilfekompetenz“) eine Beratung durch geschulte Kolleg:innen an. Im Rahmen der Vereinbarkeitswoche berufundfamilie, die gerade erst wieder stattgefunden hat, können sich Mitarbeitende zu zahlreichen Themen informieren – ich habe zum Bespiel einen gut besuchten Impulsvortrag mit dem Titel „Rentenfrühling“ gehalten.

Das Thema „Übergang in die Rente“ ist eines der Handlungsfelder, für die im Rahmen von berufundfamilie während der kommenden drei Jahre Maßnahmen in den Kölner Standorten der REWE Group umgesetzt werden. Warum?

Michael Sigmund: Wir werden immer älter und bleiben gleichzeitig länger fit. Dass Engagement und Partizipation ebenso wie Entwicklung und Karriere keine Fragen des Alters sind, haben wir als Gesellschaft längst erkannt. Deshalb beschäftigen wir uns damit, mit welchen Rahmenbedingungen wir die Mitarbeitenden unterstützen können, die letzten Berufsjahre und den Übergang in den Ruhestand aktiv und individuell zu gestalten. Im Audit geht es ja um die lebensphasenbewusste Mitarbeiterpolitik als gelebte Unternehmenskultur. Das bedeutet auch, die Situation und die Bedürfnisse der großen Gruppe der älteren Mitarbeiter:innen in den Blick zu nehmen und sie damit in den letzten Berufsjahren und beim Übergang die Rente zu unterstützen.

Darüber hinaus sind Unternehmen heute durch den baldigen Weggang der „Babyboomer“ in besonderer Weise gefordert. Wir müssen das Wissen und die Erfahrung älterer Menschen nicht nur halten und sichern, sondern ihr Engagement und ihre Potenziale mit Blick auf die Zukunft fördern.

Böse Zungen behaupten gerne, ältere Kolleg:innen wollen nichts mehr dazu lernen und machen um neue Technik am liebsten einen Bogen. Stimmen solche Vorurteile?

Michael Sigmund: Beim Thema Alter haben wir es mit vielen Vorurteilen und Klischees zu tun. Richtig ist, dass das Gehirn mit dem Alter zwar körperlich, aber nicht zwangsweise geistig abbaut. Im Gegenteil, es ist sogar erstaunlich anpassungsfähig. So gleichen wir nachlassende Merkfähigkeit und Verarbeitungsgeschwindigkeit durch das erworbene Wissen, die gewachsene Erfahrung und Routine aus. Studien zeigen auch, dass es – abgesehen von Berufen, in denen es auf Kraft und Beweglichkeit ankommt – kaum einen Zusammenhang zwischen Alter und Produktivität gibt.

Kann oder sollte man als älterer Mensch, sagen wir ab 50, eigentlich noch eine klassische Karriere anstreben? Oder ist der Zug dann eher „abgefahren“?

Michael Sigmund: Karriere ist keine Frage des Alters, sondern eine Frage der Passung zwischen den vorhandenen Potenzialen und den Stellenanforderungen. Aber auch wenn ich nicht die klassische Karriere als Ziel habe, kann ich auf den bisherigen Berufsweg zurückblicken, um mir die erworbenen Kompetenzen, Erfahrungen und Ressourcen bewusstzumachen. Vielleicht entstehen da ganz neue Ansätze und Ideen, tauchen bisher unbekannte oder ungenutzte Potenziale auf. Und auch für das Unternehmen lohnt es sich, einen Blick in die Schatztruhe der älteren Mitarbeitenden zu werfen und deren Arbeits- und Lebenserfahrung, Stärken, Potenziale, Netzwerke und soziale Kompetenzen zu bergen. Und auch dies sollte ein „Rundumblick“ sein von den klassischen Karrieremöglichkeiten hin zu umfassender Potenzialnutzung. Wie auch immer es im Einzelfall aussehen mag; Ich halte es für wichtig, dass Mitarbeitende sich als aktive Gestalter verstehen, um Stagnation, Energie- und Motivationsverlust vorzubeugen.

Wir werden alle länger arbeiten. Wer 50 ist, hat vielleicht noch 17 Jahre vor sich. Das ist eine zu lange Zeit, um ohne Motivation zu arbeiten. Was würdest Du den Älteren mit auf den Weg geben für ein erfülltes Arbeitsleben?

Michael Sigmund: Da würde ich hier sogar auch die unter 50jährigen bis hin zu den Berufseinsteiger:innen einbeziehen wollen. Gerade wegen dieser noch langen Zeit, den Anforderungen der Arbeitswelt und den politischen und sozialen Herausforderungen und Krisen, mit denen wir alle konfrontiert sind, halte ich Ausdauer und eine eigene Langfriststrategie für ganz entscheidend. Aber es stimmt schon: Ab 40, 50 Jahren müssen wir wesentlicher achtsamer mit uns selbst werden, denn die „Einschläge“ kommen näher und treffen uns empfindlicher. Und deshalb sollten wir uns alle Zeit schenken. Uns um unsere Gesundheit kümmern, resilienter werden, unsere Energie gut einsetzen, Lebensfreude spüren und Verbundenheit mit anderen.

Alter als Teil einer lebensphasenbewusste Mitarbeitendenpolitik

Als REWE Group setzen wir auf eine familien- und lebensphasenbewussten Mitarbeitendenpolitik. Dafür erhielten die Kölner Zentralstandorte der REWE Group jüngst zum vierten Mal in Folge das Zertifikat „audit berufundfamilie“. Es verspricht, dass in den kommenden drei Jahren weitere Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben umgesetzt werden. Dazu gehören neben Führen im Jobsharing-Tandem auch verstärkt Männer für Teilzeit zu gewinnen oder den Scheinwerfer auf die älteren Mitarbeitenden zu richten. 

Neben den Kölner Zentralstandorten sind so gut wie alle REWE Group-Bereiche nach dem audit zertifiziert. So ist beispielsweise PENNY der erste und bislang einzige Discounter, der sich zertifizieren ließ. REWE ist der größte berufundfamilie-zertifizierte Arbeitgeber Deutschlands. Das Zertifikat audit berufundfamilie, ein renommiertes Qualitätssiegel für die nachhaltige Gestaltung der betrieblichen Vereinbarkeitspolitik, wird alle drei Jahre vergeben.  

Die REWE Group auf

Auf unserem LinkedIn-Kanal informieren wir über aktuelle Entwicklungen in der REWE Group sowie der Branche – von Digitalisierung bis Nachhaltigkeit.