Telerik Schischmanow, Finanzvorstand (CFO) der REWE Group, erläutert, warum Vorsorge zu treffen immer wichtiger wird, welche neuen Wege der Konzern bei der Finanzierung beschreiten will und warum es von Vorteil ist, eine Genossenschaft zu sein.
Telerik Schischmanow, Finanzvorstand (CFO) der REWE Group, erläutert, warum Vorsorge zu treffen immer wichtiger wird, welche neuen Wege der Konzern bei der Finanzierung beschreiten will und warum es von Vorteil ist, eine Genossenschaft zu sein.
Herr Schischmanow, die REWE Group hat 2022 in einem herausfordernden Umfeld einen deutlich höheren Umsatz und ein Ergebnis knapp unter dem Niveau des Vorjahres erwirtschaftet. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Telerik Schischmanow: Angesichts der widrigen Umstände können wir von einem guten Geschäftsjahr sprechen. Die vielfältigen Auswirkungen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine haben zwar insbesondere im Lebensmittelhandel in Deutschland zu zahlreichen negativen Ergebniseffekten geführt. Aber diese Belastungen haben wir durch positive Beiträge anderer Konzernbereiche kompensieren können. Vor allem die starke Rückkehr der Touristik und eine gute Entwicklung im internationalen Geschäft sowie bei Lekkerland haben ein insgesamt stabiles Ergebnis ermöglicht. Diese Entwicklung zeigt einmal mehr die Vorteile unseres stark diversifizierten Portfolios.
Telerik Schischmanow
Mitglied des Vorstands – Finanzen (Chief Financial Officer)
Die REWE Group hat im vergangenen Jahr hohe Summen in die Verkaufspreise investiert, um die Folgen der Inflation für ihre Kund:innen abzufedern. Das hat Ertragskraft gekostet…
Telerik Schischmanow: …und ist deshalb auch nur vorübergehend möglich. Wir konnten uns diese Investitionen jedoch leisten, weil wir bei den Kostenpositionen sehr achtsam waren und bei der langfristigen Energiebeschaffung von unserer Partnerschaft mit der EHA profitierten. Wir sind einer der wenigen Händler, die seit mehreren Jahren im Energiebereich eine Absicherungsstrategie betreiben. Das hat sich 2022 in hohem Maße bezahlt gemacht und deshalb halten wir auch daran fest.
Wenn immer häufiger außergewöhnliche Ereignisse das Tagesgeschäft prägen, wird es schwieriger verlässlich zu planen. Wie stellt die REWE Group in diesem Umfeld die Weichen für die Zukunft?
Telerik Schischmanow: Das Management muss heute viel agiler, dynamischer und flexibler analysieren, diskutieren und letztlich entscheiden als dies früher der Fall war. Planen können wir nur kurzfristig. Mittel- und langfristig müssen wir in Szenarien denken. Dabei simulieren wir für uns wichtige Parameter wie Energiepreise, Personalkosten oder auch Konsumgewohnheiten und entwickeln ein Real-Case-, Best-Case- sowie ein Worst-Case-Szenario. Dann schauen wir fortlaufend, wo wir möglicherweise gegensteuern müssen.
Solche Maßnahmen erfordern unter Umständen einen hohen finanziellen Einsatz. Wie hoch ist die Finanzierungreserve der REWE Group, um auf temporäre Besonderheiten zu reagieren?
Telerik Schischmanow: Unsere freie Kreditlinie bewegt sich meist zwischen 1 und 1,5 Milliarden Euro. Das ist vollkommen ausreichend, um auch potenzielle Tiefschläge wegzustecken. Wenn es sein muss, können wir kurz- und mittelfristig zusätzlich bei verschiedenen Kostenpositionen auf die Bremse treten. Oder wir strecken unser üblicherweise hohes Investitionsbudget von mehr als 2,5 Milliarden Euro pro Jahr ein wenig. Aber das würden wir nur machen, wenn wir überzeugt sind, dass es dazu keine Alternative gibt. Zudem besteht immer die Möglichkeit, für sinnvolle Maßnahmen zusätzliche Fremdfinanzierung aufzunehmen. Es gibt also genügend Handlungsspielraum, um jederzeit gegenzusteuern und die Prioritäten neu zu bewerten.
Die REWE Group hat das klare Ziel, weiter zu wachsen. Reicht die Finanzkraft, um diesen Kurs konsequent und aus eigener Kraft stabil fortzusetzen?
Telerik Schischmanow: Ein klares Ja! Wir besitzen genügend Finanzierungsmöglichkeiten, um weiteres Wachstum realisieren zu können. Richtig ist, dass wir uns in den vergangenen Jahren deutlich stärker verschuldet haben als dies früher der Fall war. Aber das ist angesichts der Größe und des Potenzials unseres Konzerns absolut in Ordnung. Ich sehe auch kein Problem darin, weitere Mittel aufzunehmen, auch wenn Kredite mit dem Anstieg der Zinsen deutlich teurer geworden sind. Wichtig ist, dass die Verschuldung stets in einer gesunden Relation zur Ertragskraft steht. Das ist bei uns der Fall. Gleichwohl müssen wir mehr denn je darauf achten, dass die Ertragskraft weiter gestärkt wird und wofür wir zusätzliches Geld aufnehmen und wo wir investieren.
Welche Investitionen haben die höchste Priorität?
Telerik Schischmanow: In den Bereichen Digitalisierung, IT und Logistik wollen wir weiter Gas geben. Das gilt auch für Immobilien. Wir wollen auch künftig Marktstandorte kaufen und entwickeln, aber auch weiterhin Mietstandorte realisieren. Es muss ein gesundes Verhältnis aus eigenen und gemieteten Standorten im Marktportfolio bestehen. Eigentumsstandorte schützen uns vor Mietsteigerungen und geben uns die Entscheidungshoheit über die Objekte, so dass wir An- und Umbauten, den Einsatz von Photovoltaikanlagen oder auch E-Mobilitätsstationen zügiger umsetzen können. Und selbstverständlich dürfen wir nicht nachlassen, unsere langjährige Vorreiterrolle im Bereich Nachhaltigkeit zu festigen oder gar weiter auszubauen.
Nachhaltigkeit ist immer häufiger auch ein Thema, wenn es um Fragen der Finanzierung geht. Banken unterliegen regulatorischen Anforderungen und möchten von Kreditnehmer:innen wissen, wie verantwortungsvoll sie sich gegenüber der Umwelt verhalten und wie fair sie im Umgang mit Mitarbeitenden und Lieferanten agieren. Wie wird die REWE Group in der Kreditwirtschaft wahrgenommen?
Telerik Schischmanow: Die Banken attestieren uns gute Chancen, unsere Finanzierungsbedarfe am Markt decken zu können. Wir werden als solides, ordentlich aufgestelltes, transparentes und innovatives Unternehmen wahrgenommen, das seine Hausaufgaben im Bereich Nachhaltigkeit gut erledigt. Das ist wichtig für uns. Denn künftig werden wir nicht mehr nur auf klassische Finanzierungsinstrumente wie syndizierte Kredite oder Schuldscheindarlehn setzen. Wir wollen im Anleihebereich einen größeren internationalen Markt erschließen. Die Investoren dort stellen hohe Anforderungen in Sachen Nachhaltigkeit. Da können wir punkten. Um nur ein Beispiel zu nennen: Wenn wir in wenigen Jahren als erster Lebensmittelhändler in Deutschland Grünstrom aus einem Windpark in der Nordsee beziehen und wie geplant immer mehr Märkte und Lagerstandorte mit Photovoltaikanlagen auf den Dächern ausstatten können wir gut 20 Prozent unseres Energiebedarfs in Deutschland aus erneuerbaren Energien decken.
Ist es in diesem Zusammenhang von Vorteil, kein börsennotierter Konzern zu sein?
Telerik Schischmanow: Unbedingt! Als Genossenschaft können wir es uns leisten, auf nachhaltiges Wirtschaften und langfristiges Wachstum zu setzen, denn wir sind nicht quartalsberichts- und dividendengetrieben. Wir investieren bis zu 99 Prozent dessen, was wir verdienen, in die Weiterentwicklung unserer Geschäftsfelder. Im Prinzip agieren wir wie ein Familienverbund. Wenn es jemanden weniger gut geht, gleichen wir das untereinander aus. Das verschafft uns in vielerlei Hinsicht Stabilität, auch als Arbeitgeber. Zudem gibt das dem Management die Möglichkeit, mit Weitsicht und für die kommende Generation zu denken und zu agieren.