Politik

9. August 2024

„Innenstädte rücken zunehmend in den Fokus der Politik“

Wie schaut die Innenstadt der Zukunft aus? Welche politischen Entscheidungen würden Wohnraum auf Einkaufstätten begünstigen? Christian Schneider, Head of Expansion REWE, gibt in unserem Format „Stimme des Monats” Antworten auf diese Fragen.
Lesezeit: 6 Min.

Liebe Leser:innen,

in der Immobilienbranche heißt es: Was sind die drei wichtigsten Kriterien beim Immobilienkauf? Lage, Lage, Lage. Was für den privaten Eigenheimbesitzer gilt, trifft auch auf den Bereich der Handels- und Gewerbeimmobilien zu. Bei einem REWE-, PENNY- oder toom-Markt ist es am Ende – neben dem Warenangebot und den Mitarbeitenden – letztlich auch die Lage, die darüber entscheidet, ob Kundenfrequenz und Umsätze sich so entwickeln, wie von uns geplant und erhofft.

Lage ist also weit mehr als nur die Adresse. Der allgemeine Begriff der „Lage“ umfasst sämtliche Standortfaktoren: Wie gut ist der Markt angebunden, in Bezug auf Straßen und Fußwege, aber auch bei Themen wie Ladeinfrastruktur oder Breitband-Internet für das Kund:innen-W-LAN? Lassen örtliche Gegebenheiten und rechtliche Bestimmungen einen attraktiven, zeitgemäßen Markt für die Kund:innen zu?

Mit all diesen Fragen befasst sich die Standortentwicklung der REWE Group – im Fachjargon „Expansion“ genannt – jeden Tag. Unser Ziel ist es, für jeden Standort das geeignete Konzept zu entwickeln und damit ein passgenaues, attraktives Nahversorgungsangebot für die Kund:innen zu schaffen. Denn wohnortnahe Einkaufsmöglichkeiten für den täglichen Bedarf sind ein elementarer Bestandteil der Daseinsvorsorge und steigern bei gelungener Ausprägung die Lebensqualität im Quartier, dem Stadtteil oder der kleinen Landgemeinde.

In den letzten Jahren ist viel vom „Sterben“ der Innenstädte die Rede. Im Mittelpunkt steht dabei vor allem die Krise der klassischen Warenhäuser, die aufgrund sich wandelnder Kund:innenbedürfnisse und der steten Zunahme des Onlinehandels seit Jahren unter Druck stehen. Ein attraktives Einzelhandelsangebot ist jedoch Kernbestandteil eines lebendigen urbanen Raums – dies schließt den Lebensmitteleinzelhandel zwingend mit ein.

Die Innenstädte rücken somit vermehrt in den Fokus der Politik – vom Bund über die Länder bis hin zu den Kommunen. Häufig spielt dabei eine Verdichtung oder Umnutzung von Bestandsgebäuden eine Rolle: Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, Freizeit – alles soll näher zusammenrücken. Von einer „15-Minuten-Stadt“ ist mitunter die Rede, in der idealerweise alle Grundfunktionen der Daseinsvorsorge, von der Kita über den Arzt und das Kino bis zur Einkaufsmöglichkeit, binnen einer Viertelstunde von der Wohnung aus erreichbar sind.

Ein moderner REWE- oder PENNY-Markt kann zudem zur Belebung ganzer Stadtquartiere beitragen. Dieser neue politische Fokus auf die Innenstädte kann aber nur erfolgreich sein, wenn die politischen Rahmenbedingungen stimmen.

Christian Schneider , Head of Expansion REWE
Porträt von Christian Schneider
Christian Schneider , Head of Expansion REWE

Wir als Händler begrüßen solche Vorhaben grundsätzlich, denn der Erfolg unserer Märkte ist untrennbar mit ihrem unmittelbaren Umfeld verbunden. Ein moderner REWE- oder PENNY-Markt kann zudem zur Belebung ganzer Stadtquartiere beitragen. Dieser neue politische Fokus auf die Innenstädte kann aber nur erfolgreich sein, wenn die politischen Rahmenbedingungen stimmen.

Auch wenn wir für jeden Standort und jedes Projekt individuelle Lösungen bieten, ist uns an größtmöglicher Effizienz gelegen. Wir wollen nicht für jeden neuen Markt das Rad neu erfinden. Die föderale Struktur Deutschlands führt zu einem Flickenteppich im Baurecht mit 16 Landesbauordnungen, die sich mal mehr und mal weniger an der Musterbauordnung des Bundes orientieren, den Rechtsauslegungen und ergänzenden Vorschriften der kommunalen Bauämter. Ähnliche Sachverhalte können daher von Bundesland zu Bundesland völlig anders bewertet werden – entsprechend langwierig können Antragsverfahren sein, entsprechend komplexer und teurer werden Neubau-, Erweiterungs- und Standortentwicklungsvorhaben.

Die Anforderungen an den Lebensmittelhandel wachsen seit Jahren – Kund:innen fragen mehr regionale Produkte oder Sortimente für den Unterwegsverzehr nach und gemeinsames Kochen und saisonales Grillen haben ebenfalls an Bedeutung zugenommen. Dementsprechend größer sind Supermärkte heute als noch vor 20 oder 30 Jahren. Flächenbeschränkungen im Baurecht sollten diese Entwicklung berücksichtigen, damit attraktive zukunftsfähige Einzelhandelsstandorte entstehen bzw. auch vorhandene angemessen weiterentwickelt werden können. Die Baunutzungsverordnung (BauNVO) sollte daher den Kommunen bei der Genehmigung neuer Lebensmittelmärkte mehr Flexibilität einräumen, insbesondere wenn es sich gemäß kommunaler Zentren- und Nahversorgungskonzepte um städtebaulich integrierte und verträgliche Ansiedlungen zur Sicherung bzw. Weiterentwicklung einer qualifizierten Nahversorgung handelt.

Wenn in den Innenstädten wieder vermehrt nebeneinander gewohnt, gearbeitet, eingekauft und die Freizeit verbracht werden soll, entstehen dadurch auch neue Konflikte. Der Lkw, der einen Markt beliefert, über dem sich Wohnungen befinden, kommt manchmal auch schon früh am Morgen. Gegenseitige Rücksichtnahme ist für uns selbstverständlich, ein Aushalten von alltäglichen Geräuschen ist jedoch Grundvoraussetzung. Die Vorschriften im Emissionsschutzrecht und insbesondere in der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) sollten daher mehr Spielräume ermöglichen und Händlern als potenziellen Lärm-Emittenten mehr Rechtssicherheit bieten.

Ein modernes Lärmschutzrecht würde auch den verstärkten Einsatz von Elektro-Lkw bei der Belieferung unserer Märkte ermöglichen. Diese sind deutlich leiser als der klassische Diesel, und könnten daher auch in Tagesrandzeiten zum Einsatz kommen – erste Erfahrungen unsererseits sind hier sehr vielversprechend. Voraussetzung dafür ist allerdings eine leistungsfähige Ladeinfrastruktur – und entsprechende Investitionen in die Stromnetze vor Ort. Rund 900 Verteilnetzbetreiber machen die Antragstellung für Ladesäulen, ob für unsere Lkw oder die Pkw unserer Kund:innen, zu einem komplexen Unterfangen. Mehr Einheitlichkeit wäre hier aus unserer Sicht wünschenswert.

Wir entwickeln unsere Formate ständig weiter, gleichzeitig verändern sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die Anforderungen und Kund:innenwünsche wachsen. Um mit attraktiven Standorten punkten zu können, bedarf es auch eines entsprechenden politischen und rechtlichen Umfeldes. Daran wollen wir mit allen relevanten Stakeholdern auf allen Ebenen arbeiten, als Unternehmen insgesamt, und auch ich ganz persönlich. Wir freuen uns auf den Dialog.

Porträt von Christian Schneider
Über:
Christian Schneider
Head of Expansion REWE