Politik

15. November 2023

„Gute Rahmenbedingungen für Selbstständigkeit – Stronger together“

Thomas Nonn, Bereichsvorstand Selbstständigkeit und Genossenschaft Handel Deutschland, macht sich als Präsident von Independent Retail Europe auf EU-Ebene für die Interessen genossenschaftlich organisierter Unternehmen stark. In der aktuellen Stimme des Monats berichtet er von administrativen Lasten für die Kaufmannschaft und dem Wert guter Verbandsarbeit.
Lesezeit: 6 Min.

Liebe Leser:innen,

die Wucht, mit der in der Europäischen Union Veränderungsprozesse forciert werden – so notwendig diese auch sind – spüren wir REWE Group-seitig auf vielfältige Weise. Da ist zum einen der Konzern, der 380.000 Mitarbeitende in 21 Ländern vertritt. Zum anderen haben wir als REWE insgesamt, das Public Affairs-Team der REWE Group sowie der Bereich Kaufleute ganz besonders die Belange der aktuell mehr als 1.800 selbstständigen REWE-Kaufleute im Blick, die mit ihren inhabergeführten Märkten von bestimmten erlassenen oder anstehenden Regulierungen besonders betroffen sind bzw. wären. All diese Interessen gilt es gegenüber der Politik in Berlin und in Brüssel, in Bundesländern und auf kommunaler Ebene zu vertreten – für unsere Kund:innen, Mitarbeitenden und natürlich die selbstständigen REWE-Kaufleute, denen wir als genossenschaftliches Unternehmen besonders verpflichtet sind.

Um etwas für den kooperierenden Mittelstand  zu erreichen, bleibt es auch auf EU-Ebene unabdingbar, sich als Unternehmen in Verbänden zu konsolidieren und gemeinsam zu stärken, weil die Stimme einzelner Unternehmen in Brüssel deutlich schwerer wahrzunehmen ist, so ehrlich muss man auch sein.

Deshalb freue ich mich ganz besonders, dass Independent Retail Europe (IRE) in diesen Tagen sein 60-jähriges Bestehen feiert. Seit nunmehr sechs Jahrzehnten setzt sich der Verband, dessen Präsident ich seit 2019 sein darf, auf europäischer Ebene für die Belange kooperierender Geschäftsmodelle ein; konkret spricht IRE für 23 Verbundgruppen in Europa, aktuell fast 462.000 selbstständige Einzelhändler:innen und 6,5 Millionen Beschäftigte. Stolze Zahlen, die die Bedeutung des selbstständigen Einzelhandels, ob Food oder Non-Food, in Europa aufzeigen.

Da die nationale Gesetzgebung sehr stark von Brüssel beeinflusst wird, ist die aktive Mitarbeit in Verbänden, der Praxisinput von Unternehmen, die Mitarbeit an Positionen oder auch die Begleitung von politischen Gesprächen, aus meiner Sicht unerlässlich. Independent Retail Europe spricht von annähernd 65 Prozent aller nationalen Rechtsvorschriften für den Einzelhandel, die auf EU-Recht basieren.

Da die nationale Gesetzgebung sehr stark von Brüssel beeinflusst wird, ist die aktive Mitarbeit in Verbänden, der Praxisinput von Unternehmen, die Mitarbeit an Positionen oder auch die Begleitung von politischen Gesprächen, aus meiner Sicht unerlässlich.

Thomas Nonn, Bereichsvorstand Selbstständigkeit und Genossenschaft
Porträt von Thomas Nonn
Thomas Nonn, Bereichsvorstand Selbstständigkeit und Genossenschaft

Nehmen wir das Thema Berichterstattungen: Ob die EU-Verordnung für Entwaldungsfreie Lieferketten, die Corporate Sustainability Reporting Directive oder das EU-Lieferkettengesetz, die Sinnhaftigkeit der Regulierungen stellen wir grundsätzlich gar nicht in Frage. Aber das Prinzip „one fits all“, also gleiches Vorgehen für alle Unternehmensformen, funktioniert aus unserer Sicht nicht immer. So ist zum Beispiel ein Nachhaltigkeits-Bericht eines Konzerns doch deutlich aussagekräftiger als ein Bericht einer einzelnen OHG, also zum Beispiel eines Kaufmanns oder einer Kauffrau mit einem oder mehreren Märkten. Hier entsteht enorme administrative Last bei unseren Kaufleuten. Ich sage Ihnen ganz offen: Die Proportionalität ist bei derlei Themen oftmals nicht gegeben. Deshalb ist es wichtig, sich für gute Rahmenbedingungen für Selbstständigkeit einzusetzen.

Keine EU-Regulierung hat dies in den vergangenen Jahren so deutlich gemacht wie die Unfair Trading Practices (UTP). Die Richtlinie nahm das Verbot unlauterer Handelspraktiken in den Blick, hatte also die grundsätzlich gute Absicht, kleinere Lieferanten zu stärken. Im politischen Prozess wurde dann aber nicht nur über die Schutzwürdigkeit internationaler Megakonzerne diskutiert, auch das genossenschaftliche Geschäftsmodell rückte in den Fokus und stand unter starkem Beschuss. So wurde leider auch der unternehmerische Handlungsspielraum in der engen Zusammenarbeit von lokalen Lieferanten und selbstständigen Kaufleuten auf Marktebene eingeschränkt – und zwar sowohl zu unserem, aber auch zum Nachteil der kleineren Lieferant:innen.

Aktuell beschäftigt uns – REWE Group-seitig als auch bei IRE – die Late Payment-Directive. Diese zielt darauf ab, Zahlungsziele im Geschäftsverkehr einzuschränken. 30 Kalendertage sollen nach Eingang der Rechnung oder einer gleichwertigen Zahlungsaufforderung nicht überschritten werden dürfen. Nicht nur wir sehen dieses pauschale Vorgehen kritisch, auch der Zentralverband des Deutschen Handwerks oder der Raiffeisenverband haben bereits ausführliche Kritik geäußert. Das Ziel des Gesetzentwurfs war es, eine verbesserte Liquidität für Unternehmen zu schaffen. Leider verfehlt der Entwurf in der aktuellen Form dieses Ziel jedoch und wird unserer Einschätzung nach vielmehr den gegenteiligen Effekt erzeugen.

Nachhaltigkeit und Innovationen, generationsübergreifende wirtschaftliche Existenzen, langfristiges Handeln, dafür stehen kooperierende Geschäftsmodelle in ganz Europa. Selbstständig sein mit REWE, das bedeutet für die der REWE angeschlossenen Kaufleute eine gewinnbringende Kombination aus hoher Flexibilität und Individualisierung, Austausch und Einbindung. Es ist mir ein besonderes Anliegen, dass diese Unternehmensform auch zukünftig wettbewerbsfähig bleibt. So finde ich auch: Insgesamt sollten die Perspektiven von Unternehmen mit Mittelstands-Bezug stärker politisch berücksichtigt werden, gilt der Mittelstand doch als das Rückgrat der Wirtschaft. Und damit einher geht natürlich auch die Stärkung der Organisationen, die erfolgreiche Selbstständigkeit ermöglichen, so wie wir das als REWE tun. Für den entsprechenden Dialog stehe ich als REWEaner, aber auch als Organ von Independent Retail Europe, gerne zur Verfügung.

Gute Verbandsarbeit fußt auf einer breiten Basis von Unternehmen, die sich aktiv einbringen. Deshalb wünsche ich Independent Retail Europe zum 60-jährigen Bestehen, dass immer mehr Unternehmen die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit dieser Arbeit erkennen und mitmachen – ganz nach dem IRE-Leitbild „stronger together“.

Ihr Thomas Nonn

Porträt von Thomas Nonn

Über:

Thomas Nonn

Bereichsvorstand Selbstständigkeit und Genossenschaft

ist seit 1990 bei der REWE Group beschäftigt.