Politik

24. Oktober 2023

„Es braucht flächendeckende Systeme, keine Insellösungen“

Um Mehrweg als ökologischere und kundenfreundliche Alternative verstärkt anbieten zu können, braucht es neben neuen Prozessen und starker Verbraucherkommunikation auch veränderte politische Rahmenbedingungen, verdeutlicht Pia Schnück, Head of Sustainability, Packaging & Circular Economy, in unserer aktuellen Stimme des Monats.
Lesezeit: 6 Min.

Liebe Leser:innen,

bis Ende 2025 möchten wir das Sortimentsangebot in Mehrweg und Unverpackt im Vergleich zu 2021 verdoppeln: An diesen konkreten Zielen von REWE und PENNY arbeiten mein Team und ich mit Hochdruck. So testen wir neue Systeme und befähigen unsere Kolleg:innen aus Einkauf und Vertrieb, ihre Sortimente umweltfreundlicher zu gestalten. Doch das Thema Kreislaufwirtschaft ist komplex und es braucht skalierbare Maßnahmen, um hier branchenübergreifend spürbare Änderungen durchzusetzen. Deshalb unterstützen wir die Eckpunkte der Bundesregierung eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Verpackungsgesetzes (Gesetz für weniger Verpackungsmüll) zur Förderung von Mehrwegalternativen – sofern die notwendigen Voraussetzungen geschaffen werden.

Effektives Recycling und der Einsatz von Rezyklat sind wichtige Maßnahmen der Kreislaufwirtschaft, doch wir erkennen ein Wahnsinns-Potential in den Bereichen Mehrweg und unverpackter Ware, das unbedingt gehoben werden muss. Deshalb haben wir bereits zahlreiche Maßnahmen auf den Weg gebracht: Bei Getränken bieten sowohl REWE als auch PENNY deutschlandweit in vielen Sortimenten Mehrweg-Alternativen an. Als erster Lebensmittelhändler hat REWE zudem ein offenes, skalierbares System für Mehrweg-To-Go-Verpackungen etabliert, das die vorhandenen Rücknahme-Strukturen in den Märkten über die Pfandautomaten nutzt. Das „Einfach Mehrweg“-System ist sowohl mit dem Blauen Engel als auch mit dem ECR-Sustainability Award 2023 ausgezeichnet worden. Und auch bei Schnittblumen haben wir das Potential von Mehrweg erkannt. So bietet PENNY, als erster Lebensmittelhändler in Deutschland, seit diesem Jahr Blumen in Mehrwegeimern an.

Der Lebensmittelhandel mit seinen täglich Millionen Kundenkontakten stellt hohe Anforderungen an Effizienz und Kundennutzen. Deshalb gilt: Um das enorme Nachhaltigkeitspotenzial von Mehrweg insgesamt zu heben, braucht es flächendeckende Systeme und keine Insellösungen. Letztere werden auch bei den Verbraucher:innen keine Akzeptanz finden. Standards und Branchenlösungen hingegen sind aus unserer Sicht dringend notwendig. An drei Beispielen möchte ich Ihnen gerne näherbringen, warum.

Um das enorme Nachhaltigkeitspotenzial von Mehrweg insgesamt zu heben, braucht es flächendeckende Systeme und keine Insellösungen.

Pia Schnück, Head of Sustainability, Packaging & Circular Economy
Porträt von Pia Schnück
Pia Schnück, Head of Sustainability, Packaging & Circular Economy

Individualgebinde, also zum Beispiel Flaschen mit Prägungen oder auch Getränkekästen mit permanenten Logo- oder Namensaufdrucken, haben in den vergangenen Jahren etwa bei Wasser und Bier enormen Zuwachs erfahren. Dieser Trend macht Mehrweg ineffizient und schmälert den ökologischen Vorteil. Denn jede Individualflasche einer norddeutschen Brauerei muss ihren Weg dorthin zurückfinden, auch aus einem REWE-Markt im Allgäu.

Mehrweg-Pools sollten daher allen zur Verfügung stehen, die sie nutzen wollen. Denn was viele nicht wissen: Derzeit können wir unser Eigenmarken-Wasser nicht ohne Weiteres in Standard-Mehrweg-Flaschen anbieten. Die Nutzungsbedingungen der etablierten Poolbetreiber regeln zum Teil, dass nur Marken von Brunnen und somit keine Eigenmarken des Lebensmittelhandels darin abgefüllt werden dürfen. Wir finden: Hier ist auch die Politik gefragt, sich mit Nachdruck für eine Öffnung einzusetzen, um die Erreichung der eigenen Ziele im Bereich Mehrweg zu forcieren. Denn unter den gegenwärtigen Bedingungen kann das Potential von Mehrweg nicht ausgeschöpft werden, da starke und bekannte Eigenmarken in den verbreitetsten Mehrweg-Pool-Flaschen nicht angeboten werden können.

Auch wird ins Auge gefasst, für Mehrweg-Getränkegebinde eine Verpflichtung zur Rücknahme jeglicher Mehrwegflaschen einzuführen. Aus Sicht der Verbraucher:innen ist dies eine gute Sache, die zur Förderung der Akzeptanz von Mehrweg beitragen kann. Gleichzeitig lässt sich eine solche Rücknahmepflicht in der Praxis nur umsetzen, wenn es nicht zig verschiedene Flaschen- und Kistensysteme aufgrund der vielen Individualgebinde gibt. Aus unserer Sicht sollte eine Rücknahmeverpflichtung für Mehrwegverpackungen – egal für welche Sortimente – grundsätzlich einhergehen mit der Forderung nach und Förderung von offenen Mehrwegsystemen mit standardisierten Gebinden, die auf bestehenden Strukturen aufbauen.

Ich habe es bereits erwähnt: Bei der REWE Group denken wir das Mehrweg-Thema ganzheitlich und bereits seit mehreren Jahren auch über die Warengruppe Getränke hinaus. Mit dem „Einfach Mehrweg“-System haben wir mit unserem Partner Sykell im Bereich der To-Go-Verpackungen für sofort verzehrfertige Speisen ein offenes System geschaffen, entsprechend getestet, nachjustiert und ausgerollt. Außerdem sind wir Ende September mit einem Piloten für Unverpackt-Stationen in elf REWE-Märkten gestartet. Auch hier gilt es, hohe Hürden mit Blick auf Hygiene und Ökologie zu nehmen. Denn Großverpackungen aufzureißen und den Inhalt dann in Behälter einer Unverpackt-Station zu füllen, bringt keinen Mehrwert. Wir sind gespannt, wie die Kundschaft das neue Angebot annehmen wird und welche praktischen Schlüsse wir daraus hinsichtlich einer Skalierung ziehen können.

Unser Appell ist: Lassen Sie uns gemeinsam ökologisch sinnvolle, für den Handel gern ambitionierte, aber machbare und für den Kunden einfach zu handhabende Mehrwegsysteme ausweiten. Aus unserer Sicht sollte das Gesetz für weniger Verpackungsmüll viel stärker auf die konkrete Umsetzung und Ausgestaltung eingehen, um kundenfreundliche, schnelle und nachhaltige Lösungen zu erreichen – und auf Best Practices setzen: Denn mit dem Pfandsystem bei Einweggetränkegebinden wurde in Deutschland vor Jahren eine Struktur geschaffen, die auf der Grundlage gemeinsamer Standards und einer entsprechenden Finanzierung fußt – und von den Verbraucher:innen angenommen wird. Lassen Sie uns auf diesen Erfahrungen aufbauen; auch als Vorbild im europäischen Kontext mit Blick auf die aktuellen Diskussionen auf EU-Ebene.

Verbraucher:innen für Mehrweg zu gewinnen und zu motivieren ist kein Selbstläufer. Hier braucht es die Zusammenarbeit von Politik, NGOs und Wirtschaft sowie starke Kommunikationsmaßnahmen. Denn Mehrweg-Lösungen werden für Kund:innen immer auch mit mehr Aufwand verbunden sein als Einwegverpackungen, die nach dem Verzehr einfach entsorgt werden. Deshalb müssen wir es Verbraucher:innen so einfach wie möglich machen. Mehrweg muss convenient werden. Daran arbeiten mein Team und ich mit viel Motivation und innovativen Ideen weiter.

Ihre Pia Schnück

Porträt von Pia Schnück
Über:
Pia Schnück
Head of Sustainability, Packaging & Circular Economy

startete 2020 bei der REWE Group