Politik

6. November 2023

„Der Status quo fühlt sich mitunter an, als lebten wir in einem Haus mit nur einer einzigen Steckdose“

Von Wasserstoff und Bio-Kraftstoffen bis zum Batteriebetrieb: Die Logistikbranche ist auf der Suche nach Alternativen zum Verbrenner. Lars Siebel, Leiter Logistik und Supply Chain Management Handel Deutschland, berichtet in der aktuellen Stimme des Monats von Erfahrungen mit alternativen Antrieben, von notwendiger Planungssicherheit und drängenden Investitionen der öffentlichen Hand.

Lesezeit: 6 Min.

Liebe Leser:innen,

ob Privatperson, Politik oder Unternehmen: Wer seine Auswirkungen auf das Klima minimieren will, der bzw. die weiß, dass im Verkehrssektor ein Riesenhebel liegt – so auch in der Logistik der REWE Group. Und die Zeit drängt: Bereits 2045 will Deutschland klimaneutral sein, und auch unser Unternehmen hat sich ehrgeizige Klimaziele gesetzt. Hinzu kommt: Mehrere staatliche Zwischenziele wurden bereits verfehlt, was den Druck auf alle Beteiligten erhöht.

Deshalb intensivieren wir seit einiger Zeit unsere Tests mit alternativen Antrieben. Die Anforderungen sind groß: Unsere Lkw transportieren Waren über Hunderte von Kilometern – darunter auch frische und gekühlte Produkte. Bei den unterschiedlichen Projekten analysieren wir Verbrauchskennziffern, Auswirkungen auf Abläufe oder die Routenplanung und ziehen auch betriebswirtschaftliche Schlüsse. Die Fahrzeughersteller, die Netzbetreiber und natürlich auch wir lernen stetig aus solchen Piloten, denn vieles ist für alle Beteiligten noch Neuland. Und aus meiner Sicht – und da bin ich wohl nicht allein – ist auch noch lange nicht ausgemacht, welche alternativen Antriebsformen sich im Lieferverkehr zukünftig durchsetzen werden. Deshalb stellen wir uns bei den Tests breit auf.

So rollen unternehmenseigene Wasserstoff-Brennstoffzellen-Lkw durch die REWE-Regionen West und Nord. Mit den zugehörigen Kühlzellen können diese wie konventionelle Lkw eingesetzt werden und somit auch kühl- oder tiefkühlpflichtige Produkte ausliefern. Getankt wird „grün“, also mithilfe erneuerbarer Energien produziertem Wasserstoff, was einen 100-prozentig emissionsfreien Einsatz ermöglicht.

In der Hauptstadt hingegen beliefern seit Mai sieben vollelektrische Lkw mehr als 300 REWE-Märkte. Durch die Kooperation mit dem schwedischen Frachttechnologie-Unternehmen Einride werden nicht nur hunderte Tonnen CO2 eingespart, unsere Lastwagen drehen auch deutlich leiser ihre Runden durch Berlin. Die Reichweite beträgt 300 km, so dass der Einsatz im städtischen Bereich mit kürzeren Strecken total Sinn macht. Aufgeladen werden die Lkw an unserem Logistikstandort in Oranienburg. In den vergangenen Jahren hat sich hier erfreulich viel getan und wir können bestätigen: Die Fahrzeuge sind in den bisherigen Use Cases – auch mit gekühlter Ware – gut einsetzbar und verlässlich!

Diese Praxistests bedeuten einen enormen Erkenntnisgewinn, doch muss der gesamte Verkehrs- und Logistiksektor auf lange Sicht zu dem Punkt kommen, diese Antriebsformen in der Breite einzusetzen. Bund, Länder und Städte müssen entschlossener agieren, wenn die Klimawende gelingen soll. Dies ist auch essenziell für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Doch dafür braucht es enorme Investitionen in die entsprechende Infrastruktur! Für die notwendige Ladeinfrastruktur im Güterverkehr sind die Verteilnetze derzeit nicht leistungsfähig genug. Die örtlichen Stadtwerke sind überlastet und Gewerbegebiete, in denen sich Logistik in der Regel angesiedelt, müssen bei den Netzausbauplanungen viel stärker berücksichtigt werden. Der Status quo fühlt sich mitunter an, als lebten wir in einem Haus mit nur einer einzigen Steckdose.

 

Diese Praxistests bedeuten einen enormen Erkenntnisgewinn, doch muss der gesamte Verkehrs- und Logistiksektor auf lange Sicht zu dem Punkt kommen, diese Antriebsformen in der Breite einzusetzen. Bund, Länder und Städte müssen entschlossener agieren, wenn die Klimawende gelingen soll. Dies ist auch essenziell für den Wirtschaftsstandort Deutschland.

Lars Siebel, Leiter Logistik und SCM Handel Deutschland

Porträt von Lars Siebel

Lars Siebel, Leiter Logistik und SCM Handel Deutschland

Verstehen Sie mich nicht falsch, wir ziehen uns hierbei nicht aus der Verantwortung. Wir übernehmen beispielsweise die Erschließung unserer Lagerstandorte und forcieren die Installation von Photovoltaik-Anlagen auf den Dächern vor Ort. So liefert auf unserem Verwaltungs- und Logistikzentrum in Henstedt-Ulzburg eine Photovoltaikanlage grüne Energie. Doch die Solarpanels auf einer stolzen Fläche von fast 6.500 qm decken nur ca. zehn Prozent des Standortbedarfs. Dennoch: ein zukunftsweisendes Projekt meiner Kolleg:innen. Das Laden einer E-Lkw-Flotte wird aber auf diese Weise nicht funktionieren, auch wenn uns dies immer wieder von außen empfohlen wird.

Gemeinsam müssen wir dahin kommen, dass alternative Antriebe auch unterwegs betankt oder geladen werden können. Hier gibt es bereits spannende Tests mit Oberleitungen oder Induktion. Was es noch braucht? Planungssicherheit! Rahmenparameter wie die Mautbefreiung für Flüssiggas (Liquefied Natural Gas, LNG), Förderungen für Fahrzeuge und Infrastrukturvorhaben, Betriebserlaubnisse für neue Fahrzeugtypen wie Lang-Lkw, mit denen wir unabhängig von der Antriebsart Fahrten und damit Energie einsparen können, emissions- und lärmschutzrechtliche Regelungen (wie eine dringend notwendige Anpassung der sogenannten TA Lärm für Fahrten in Innenstädten) oder gesetzliche Ausbauziele für E-Verkehre müssen über einen längeren Zeitraum berechenbar und mit konkreten Jahreszahlen hinterlegt sein. Ein E-Lkw ist acht Jahre im Einsatz und die Anschaffungskosten sind immens. Besonders für mittelständische Speditionen gehen derlei Kalkulationen dann schnell nicht mehr auf. Dieses Thema liegt mir insofern besonders am Herzen, weil wir sehr eng mit kleinen und mittelständischen Speditionen zusammenarbeiten. Einen Teil des Lkw-Volumens decken wir bei der REWE Group mit unserer eigenen Flotte ab, darüber hinaus arbeiten wir eng mit regionalen, mittelständischen Dienstleistern zusammen. Diese spiegeln uns sehr genau, wie sehr sie auf öffentliche Förderungen angewiesen sind, um die Innovationszyklen zu stemmen. Diesen Achtungspunkt gilt es auch seitens der Politik unbedingt zu berücksichtigen.

Schließen möchte ich gerne mit einer Frage, die mir oft gestellt wird: Wie reagieren die Kraftfahrer:innen, wenn Sie ihnen einen Lkw mit alternativer Antriebsform hinstellen? Die Antwort gebe ich Ihnen gern: Sie sind begeistert! Wir merken sogar, dass der Einsatz moderner Technologien diesen wichtigen Job deutlich attraktiver macht! Ein Signal, auf das wir angesichts der großen Herausforderung, qualifiziertes Personal für die Logistik zu gewinnen, alle aufsetzen sollten.

Ihr Lars Siebel

Porträt von Lars Siebel

Über:

Lars Siebel

Leiter Logistik und SCM Handel Deutschland

startete im Januar 2020 bei der REWE Group.