Unternehmen

14. Juni 2024

„Wir sind eine starke Gemeinschaft“

Interview mit CFO Telerik Schischmanow
Lesezeit: 9 Min.

Herr Schischmanow, das Geschäftsjahr 2023 war von einigen Herausforderungen für den Handel geprägt – wie fällt Ihr Fazit aus?

Telerik Schischmanow: Die politische und geopolitische Situation hat uns sehr beschäftigt – insbesondere der weiterhin andauernde Angriffskrieg auf die Ukraine und die Gräueltaten der Hamas gegen das israelische Volk sowie die damit verbundenen Reaktionen im Nahost-Konflikt. All das hat Auswirkungen auf die Waren- und Rohstoffversorgung, auf Lieferketten und letztlich auch auf das Konsumverhalten der Kund:innen.

Wie schon 2022 hat uns auch im vergangenen Jahr eine hohe Inflation begleitet, insbesondere im Lebensmittelbereich. Erst gegen Ende des letzten Jahres ist sie dann deutlich zurückgegangen, so dass wir derzeit im Food-Bereich in den meisten unserer Länder eher von einer Deflation sprechen können. Das bedeutet: Wir bewegen uns von einer Hyperinflation hin zu einer Deflation, verbunden mit anhaltenden Unsicherheiten. Gleichzeitig steigen die Kosten. Die Preissteigerungen – unter anderem in Folge der Strom- und Gaskrise – sehen wir jetzt bei den Rohstoffkosten, bei den Produktkosten und nicht zuletzt bei den Personalkosten. Wir haben die Situation, dass sowohl die deflationären Tendenzen als auch die Kostensituation ihre volle Wirkung entfalten. Auf diese Diskrepanz müssen wir mit entsprechenden Maßnahmen reagieren: sinkende Lebensmittelpreise bei steigenden Lohn- und Sachkosten. Darauf müssen wir uns einstellen. Vor allem auch in den Verhandlungen mit Lieferanten, die in den vergangenen Jahren zum Teil durchaus von der Inflation profitiert haben.

Porträt von Telerik Schischmanow
Über:
Telerik Schischmanow

ist Mitglied des Vorstands – Finanzen (Chief Financial Officer).

Leistbare Preise für alle unsere Kund:innen waren im vergangenen Geschäftsjahr ein Top-Thema. Dafür haben wir auch 2023 in Preise investiert. Wie lange wird das aus Ihrer Sicht noch notwendig sein?

Telerik Schischmanow: Wir werden auf Sicht fahren müssen, um zu schauen, wie sich die Umsätze, die deflationären Tendenzen und die Kostenbasis entwickeln. Klar ist: Wir müssen weiter investieren, um die Zukunft zu sichern, aber wir müssen mit Bedacht prüfen, welche Kostenpositionen wir uns auch in Zukunft weiter leisten möchten und müssen. Wir können denselben Euro nur einmal ausgeben. Unter diesen Rahmenbedingungen werden wir anders priorisieren und noch konsequenter mit Geld umgehen müssen.

Trotz der Herausforderungen hat die REWE Group 2023 eine gute wirtschaftliche Entwicklung gehabt.

Telerik Schischmanow: Ja, das vergangene Jahr war trotz der Krisen das beste in der Unternehmensgeschichte. Es ist sehr positiv, dass wir in dieser schwierigen Zeit stabil geblieben sind – das zeigt einmal mehr die Stärke unserer Genossenschaft. Aber wir sind nach wie vor nicht in der Lage, die Investitionen zu erwirtschaften, die wir brauchen, um für die Zukunft gerüstet zu sein. Jedes Jahr müssen wir bislang 200 bis 400 Millionen Euro an neuen Schulden aufnehmen – und das zu einem anderen Zinssatz als in der Vergangenheit. Noch vor zwei Jahren konnten wir mit Zinssätzen von unter einem Prozent rechnen. Unseren Sustainability-Linked Bond hingegen haben wir 2023 zu einem Zinssatz von 4,9 Prozent aufgelegt. Das ist ein großer Unterschied.

Was genau bedeutet das für unsere Investitionen in den kommenden Jahren?

Telerik Schischmanow: Wir dürfen uns nicht auf unserem Erfolg ausruhen. Wir müssen weiterhin achtsam sein, denn die Umsatzentwicklung der letzten beiden Jahre wurde stark von der Inflation und dem Einbruch des Tourismus während der Corona-Periode sowie der anschließenden starken Umsatzerholung beeinflusst.

Mehr Kredite sind übrigens nicht per se schlecht für einen Konzern, der wächst und sich entwickelt – zumal wir viel in Immobilien investieren. Wir sind einer der größten Projektentwickler und Bestandserwerber in Europa. Es gibt kaum ein Unternehmen, das bei Immobilieninvestitionen in unserer Klasse spielt. Dabei konzentrieren wir uns auf unsere Top-Standorte, Logistikinfrastruktur, Lager, Marktumbauten und Digitalisierung.

Warum ist diese Investition strategisch wichtig und sinnvoll für uns?

Telerik Schischmanow: Eigentum macht uns in vielerlei Hinsicht ein Stück weit unabhängig. Wir sind nicht an die Indexierung der Mieten gebunden, wie es bei Standardmietverträgen der Fall ist. Dort wird die Miete entsprechend der Inflation erhöht. Das schlägt bei uns im Konzern derzeit mit einem dreistelligen Millionenbetrag zu Buche. Diese Kosten tragen wir nicht, wenn wir Eigentümer der Immobilien sind. Außerdem gibt es einen Wettbewerb um gute Standorte, so dass man einen gemieteten Standort auch an Wettbewerber verlieren kann. Auch das schließen wir mit eigenen Immobilien aus. Nicht zuletzt haben wir im Sinne der Nachhaltigkeit alles selbst in der Hand, wenn es um die Installation von Photovoltaikanlagen oder Ladeinfrastruktur für E-Mobilität geht. So haben wir sowohl die Kosten als auch die Standortentwicklung im Griff. Wir werden aber immer beides brauchen: Mietobjekte und eigene Immobilien. Es geht also darum, die Balance zu halten.

Sie haben es schon erwähnt: Im vergangenen Jahr haben wir erstmals eine nachhaltigkeitsgebundene Anleihe im Volumen von 900 Millionen Euro platziert. Warum dieser Schritt?

Telerik Schischmanow: Wir sind ein sehr stark wachsender Konzern und zählen inzwischen zu den Großunternehmen in Europa. Um diesem Wachstum gerecht zu werden, benötigen wir für die Zukunft weitere finanzielle Mittel. Wir wollen zudem sowohl unser Online-Geschäft als auch die Digitalisierung und Automatisierung weiter vorantreiben, um effizienter und kostengünstiger arbeiten zu können.

Deshalb haben wir uns entschieden, uns einem breiteren Investorenkreis zu öffnen: dem professionellen Anleihemarkt. Diese Investoren sind international aufgestellt und bewegen sehr große Volumina. Sie haben aber auch andere Bedürfnisse in Bezug auf Transparenz, Offenlegung von Daten und verfolgten Zielen. Vor allem Nachhaltigkeitskomponenten werden hier immer wichtiger. Ich gehe davon aus, dass viele Großinvestoren in den nächsten Jahren kein Geld mehr an Zielgruppen vergeben dürfen, die sich nicht auch Nachhaltigkeitszielen verpflichten. Deshalb haben wir uns entschlossen, als erster deutscher Händler einen Bond aufzulegen und diesen mit Nachhaltigkeitszielen zu verknüpfen.

Wie war das Feedback aus der Finanzbranche?

Telerik Schischmanow: Die Nachfrage war deutlich höher als wir erwartet hatten. Rund 150 Investoren haben die Anleihe gezeichnet und wir hatten eine starke Überzeichnung. Als Neuling auf diesem Parkett konnten wir offensichtlich sehr viele Investoren überzeugen. Für uns bedeutet das: Nachhaltigkeit hat schon lange einen sehr hohen Stellenwert in unserer Organisation, und indem wir uns mit dem Bond an Nachhaltigkeitsziele binden, haben wir uns selbst einen weiteren Anreiz gegeben, diese auch einzuhalten. Tun wir das nicht, wirkt sich das wie ein Malus auf den zu zahlenden Zins aus.

Werden wir weitere ähnliche Finanzprodukte auflegen?

Telerik Schischmanow: Nach dem sehr erfolgreichen Debüt wird es uns auch leichterfallen, weitere Anlagen in dieser Refinanzierungsform erfolgreich zu platzieren. Das war auch eine wichtige Frage der Investoren, die es begrüßen würden, wenn wir diesen Weg weitergehen.

Sehr wichtig war den Investoren auch, dass wir als Genossenschaft uns selbst dienen und nicht externen Aktionären, die vor allem an Dividenden und Kurssteigerungen interessiert sind. Bei uns bleibt ein großer Teil des Jahresüberschusses in der Organisation und steht dann für Investitionen zur Verfügung. Das ist ein Privileg, das uns sehr hilft. Wir müssen nicht von Quartal zu Quartal denken, sondern können langfristig agieren und – Beispiel Touristik während der Corona Zeit – auch mal einen Unternehmensteil in Krisenzeiten auffangen. Diese Sicherheit, die dieser Verbund, unsere Genossenschaft, auch für die Mitarbeiter:innen ausdrückt, ist etwas ganz Besonderes.

2022 hat sich unsere langfristig ausgerichtete Strategie beim Energieeinkauf ausgezahlt, so dass sich die Kosten aufgrund erhöhter Energiepreise im Rahmen hielten. Wie stehen wir heute da?

Telerik Schischmanow: Generell wird der Energiesektor für Wirtschaft und Industrie – und damit auch für uns – eine Herausforderung bleiben. Ich gehe davon aus, dass die Energiekosten insbesondere in Deutschland vor allem auch aufgrund der aktuellen politischen Lage hoch bleiben, Tendenz steigend. Für all diese Herausforderungen sind wir mit der EHA – unserer Energie-Tochtergesellschaft in Hamburg –, dem Power Purchase Agreement für Windkraft, mit dem wir uns langfristig grünen Strom sichern, und Projekten wie der Installation von Photovoltaikanlagen auf unseren Dächern gut aufgestellt.

Was sind die größten Herausforderungen für die REWE Group in den nächsten drei Jahren mit Blick auf Finanzen und Investitionen?

Telerik Schischmanow: In drei Jahren feiern wir unser 100-jähriges Bestehen und ich gehe davon aus, dass wir dann erfolgreicher denn je sein werden. Wir sind solide aufgestellt, so dass wir die Investitionen für die Zukunft gut stemmen können.

Ich glaube aber auch, dass uns Krisen weiterhin begleiten werden. Deshalb ist es wichtig, dass wir als Organisation und auch als Menschen veränderungs- und anpassungsbereit bleiben. Dass wir eine lernende Organisation bleiben, die flexibel ist und nicht in alten Prozessen und Arbeitsweisen verharrt. Denn wir müssen uns diesen Herausforderungen stellen: von geopolitischen Konflikten über Lieferkettenprobleme bis hin zum Thema der Migration mit all ihren Auswirkungen und dem Arbeitskräftemangel.

Nun die gute Nachricht: So wie wir als Gruppe mit unseren unterschiedlichen Geschäftsmodellen in  vielen Ländern aufgestellt sind, werden wir zwar nie den maximalen Gewinn erzielen, aber wir werden auch nie pleitegehen. Die REWE Group steht sicher auf einem ausbalancierten System: Essen und Trinken wollen die Menschen immer – mit Vollsortiment, Discount und Convenience sowie unserer Omnichannel-Strategie sind wir mehr als solide für unterschiedliche Kundenbedürfnisse und Marktsituationen aufgestellt. Sie gehen in den Baumarkt, wenn sie renovieren oder ihren Garten gestalten wollen. Und die Reiselust ist in mehr oder weniger sicheren Zeiten ungebrochen. Wir sind in der Lage, eine Zeit lang Geschäftsbereiche aufzufangen, in denen es nicht so gut läuft, das haben wir während Corona bewiesen. Das sind Faktoren, die Stabilität in die Gruppe bringen und uns zu einer starken Gemeinschaft machen.

Die REWE Group auf

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