Sie alle kennen sicherlich die zugespitzten Schlagzeilen: zwischen Landwirt:innen am Nachhaltigkeitspranger, Kritik am Lebensmitteleinzelhandel und Bevormundung der Verbraucher:innen ist es für uns oftmals schwierig, eine sachliche Debatte zu führen. Die Zukunft der Landwirtschaft ist und bleibt ein hoch emotionales Thema. Denn es geht um nicht weniger als Ernährungssouveränität und die Transformation der Branche, um Versorgungssicherheit und faire Preise.
Landwirt:in ist kein gewöhnlicher Beruf. Man arbeitet lange und leidenschaftlich an der Herstellung bestimmter Produkte und möchte von diesen auch leben und den eigenen Hof ohne Existenzängste an die nächste Generation übergeben können. Die Realität sieht leider viel zu oft anders aus. Die Herausforderungen in der Landwirtschaft sind immens und lassen sich nicht mit zwei Gesetzen mal eben so lösen. Bei der Suche nach Lösungen gibt es ihn leider nicht, den einen Königsweg. Es gibt nicht DIE Lösung, denn genauso wenig gibt es DIE Landwirtschaft oder DEN Handel. Es ist ein komplexes Unterfangen und es braucht Erzeuger:innen, Verarbeiter:innen, Politik, Verbraucher:innen und Handel, die alle ihren Beitrag leisten müssen. Ich bin fest davon überzeugt: Nur ein Maßnahmen-Mix, ein Zusammenspiel von Regulierung, Branchen-Initiativen und neuartigen Vertragsgestaltungen kann diesen großen Wandel herbeiführen.
Auf den Handel wird in der Debatte um die Zukunft der heimischen Landwirtschaft immer wieder gerne gezeigt – etwa mit Forderungen nach mehr Preistransparenz oder einem klareren Bekenntnis zur heimischen Landwirtschaft. Ich kenne diese Debatten aus meiner täglichen Arbeit nur zu gut. Und ich bin sehr froh sagen zu können, dass die REWE Group ihre Verantwortung in der Wertschöpfungskette kennt und wahrnimmt. Es ist unsere klare Haltung, dass Landwirt:innen keine systematischen Verluste machen dürfen, während die anderen Akteure in der Lieferkette – inklusive des Handels – Gewinne machen. Ich bin froh, dass dieses Bekenntnis sowohl von unserer Kaufmannschaft als auch vom Vorstand geteilt wird.
Fest steht: Im Mittelpunkt aller großen Diskussionen in diesem Bereich steht die Frage nach dem „fairen Preis“. Dabei stehen wir als REWE Group vor der Herausforderung, unterschiedlichen Interessen gerecht werden zu müssen. Der von Verbraucher:innen und Politik formulierte Anspruch an uns ist: niedrige Verkaufspreise, um jedermann Zugang zu hochwertigen Lebensmitteln zu gewähren. Im scheinbar paradoxen Widerspruch dazu sollen die Erlöse für die Erzeuger:innen maximal hoch sein. Eine Diskussion, die vor allem im preissensiblen Deutschland kontrovers geführt wird.
Doch diese Rechnung kann nicht aufgehen. Denn in der Regel haben wir als Lebensmitteleinzelhandel keine direkten Geschäftsbeziehungen zu einzelnen Landwirten und somit keinen unmittelbaren Einfluss auf deren Entgelte. Es braucht also die Eigenverantwortung jedes einzelnen Akteurs in der Wertschöpfungskette. Wie also kann eine Lösung aussehen? Mein Appell lautet: Wir müssen endlich von der reinen Wertschöpfungskette zu einer Wertschätzungskette kommen! Genau mit dieser Vision haben wir das Kompetenzzentrum Landwirtschaft gegründet , gemeinsam mit Praktiker:innen aus Erzeugung, Wissenschaft und Landwirtschaft. Dennoch werden wir als REWE Group die Transformation der Landwirtschaft nicht alleine stemmen können. Wir brauchen den oben beschriebenen Mix unterschiedlichster Maßnahmen. Dazu gehören ein regulatorischer Rahmen aus Berlin und Brüssel, Brancheninitiativen wie die Initiative Tierwohl oder die Haltungsformkennzeichnung sowie eigene Unternehmensvorstöße. So haben wir als REWE Group in einem Pilotprojekt als erster Händler einen „Drei-Parteien-Vertrag“ umgesetzt, der die bisherige Vertragsgestaltung revolutioniert: Erstmals sitzen Landwirt:innen als gleichberechtigte Partner am Verhandlungstisch, sodass unter Einhaltung der rechtlichen Grenzen Transparenz zwischen den Vertragspartnern Handel – Industrie – Landwirtschaft geschaffen wird.
Das ist in dieser Form ein Novum im deutschen Handel und eine große Errungenschaft für die beteiligten Landwirt:innen. Ich bin besonders stolz darauf, dass wir darüber hinaus fünf konkrete Kriterien festgelegt haben, die den Vertrag auf eine noch solidere Basis stellen. Dazu gehören längere Vertragslaufzeiten, Preisindikatoren, eine Revisionsklausel oder auch die für uns selbstverständliche Honorierung zusätzlicher Nachhaltigkeitskriterien. Damit schaffen wir mehr Planungssicherheit und Stabilität und sind auch auf Marktschwankungen vorbereitet. Trotz der aufwändigeren Vertragsgespräche: Wir wollen die Anzahl dieser Drei-Parteien-Verträge weiter ausbauen, weil wir davon überzeugt sind, dass dies zukunftsweisende Lösungen sind.
Aber auch hier gilt: Solche Projekte sind der richtige Ansatz, um den Herausforderungen der Landwirtschaft zu begegnen, aber sie allein werden den Markt nicht verändern. Dieser Illusion sollten wir uns nicht hingeben. Wir werden Drei-Parteien-Verträge nicht bei allen Geschäftsbeziehungen umsetzen können. Auf einem Thema zu beharren, wäre fatal und verantwortungslos. Aber ja, es braucht mehr Transparenz beim Thema Preisbildung, ohne kartellrechtliche Fragen außer Acht zu lassen. Ansätze wie eine Preisbeobachtungsstelle sind aus meiner Sicht Vorschläge, die es sich zu diskutieren lohnt, um aus dem „Blame-Game“ der Vergangenheit herauszukommen.