Sie haben zu Anfang der Corona-Krise gesagt, dass das Fenster, in Alternativen zu denken, plötzlich sperrangelweit offensteht. Was genau meinen Sie damit?
Richard David Precht: Wir wussten ja schon vor Corona, dass wir so nicht weiterleben können, wenn wir nicht die Zukunft unserer Kinder verfrühstücken wollen. Aber deshalb von heute auf morgen das eigene Leben verändern? Das konnte sich kaum einer vorstellen. Dann kam die Pandemie – und stellte unseren gewohnten Alltag auf den Kopf. Das hat zu einer Atem- und Denkpause geführt, denn wir alle spüren und erleben dieses alternative Leben plötzlich. Viele Veränderungen waren natürlich negativ, aber es gab auch positive Nebeneffekte. Denken Sie nur an den weitgehend flugzeuglosen Himmel oder weniger Autos auf der Straße. Plötzlich hatten viele das Gefühl, dass man zumindest ein bisschen davon auch für die Zukunft gewinnen kann.
Zum anderen hat uns die Pandemie unsere biologische Verletzlichkeit vor Augen geführt. Wir leben in immer technotopischeren Welten und glauben, wir könnten alle unsere Probleme mit Technik lösen. Und dann kommt so ein primitives Virus und zwingt uns, unser Leben auf den Kopf zu stellen. Ich denke, dass dieses Spüren eines biologisch-ökologischen Schicksalszusammenhangs in vielen Menschen etwas auslöst. Etwa die Erkenntnis, dass wir den Klimawandel, der ein noch viel größeres Problem ist, anpacken müssen, um uns als biologische Lebewesen zu schützen – vor uns selbst.