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Drei Fragen an Else Groen zu den ersten 100 Tagen der neuen Europäischen Kommission
Ambitionierter, unkomplizierter und schneller – das sind die Ziele der Europäische Kommission für die neue Legislaturperiode. So hat sie für die ersten 100 Tage bereits einige Maßnahmen geplant und ihr Arbeitsprogramm für 2025 vorgestellt. Else Groen, Generaldirektorin von Independent Retail Europe, ordnet eben dieses in unserem Format „Drei Fragen an“ ein und gibt uns ein erstes Stimmungsbild – mit besonderem Blick auf kooperierende Unternehmen.
Lesezeit: 7 Min.
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Independent Retail Europe vertritt als europäischer Dachverband Verbundgruppen selbstständiger Einzelhändler im Bereich Food und Non-Food in Brüssel. Blicken wir auf die Stimmung in Brüssel: Wie haben Sie die neue EU-Kommission in ihren ersten 100 Tagen wahrgenommen?
Die ersten 100 Tage hatten etwas von einem „Déjà-vu“. Zu Beginn der letzten fünfjährigen EU-Legislaturperiode von 2019 bis 2024 traf uns die Corona-Krise. Auf diese Krise folgten der Ukraine-Krieg, die Energiekrise, die Klimakrise, die Bauernproteste, die anhaltende Inflation … Es scheint, dass wir den Krisenmodus nie wirklich verlassen haben, und so begann auch diese neue Amtszeit im Krisenmodus, weiter verschärft durch die US-Wahlen, den Handelskrieg und den anhaltenden geopolitischen Wandel. Darüber hinaus wollte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen rasch auf den politischen Rechtsruck reagieren, der sich in den letzten Jahren in der EU vollzogen hat und der sich auch in der neuen Zusammensetzung des Parlaments widerspiegelt. Deshalb waren die ersten 100 Tage entgegen ihrer sonst gelassenen Art ziemlich hektisch und spiegelten von der Leyens Absichten für eine „ambitioniertere und schnellere Union“ in vollem Umfang wider.
Von den Bereichen, die in den ersten 100 Tagen im Mittelpunkt stehen, sind die Wettbewerbsfähigkeit der EU, der Freihandel und die Sicherheit, insbesondere die Ernährungssicherheit, von größtem Interesse für unseren Sektor. Die Ernährungssicherheit ging mit einer neuen Vision für die Landwirtschaft und die Ernährung einher, einem Plan zur Unterstützung der europäischen Landwirt:innen, zum Schutz unserer Ernährungssicherheit und zur Sicherung der Zukunft von Landwirtschaft und Ernährung in Europa. Dies sind zwar lobenswerte Ziele, aber wir müssen sicherstellen, dass die Notwendigkeit und die Auswirkungen von mutigen und schnellen Maßnahmen zugunsten der Landwirt:innen sorgfältig und fair bewertet werden und nicht zu Lasten unseres Sektors gehen. Leider erfassen die politischen Entscheidungsträger:innen der EU – ebenso wie ihre Kolleg:innen auf Länderebene – die Komplexität der Lebensmittelversorgungskette allzu oft nicht vollständig. Es ist unsere Aufgabe als europäischer Verband, diese Missverständnisse zu klären. Wir geben daher aktiv Informationen zur Lebensmittelversorgungskette weiter, beispielsweise zu den niedrigen Gewinnspannen in unserem Sektor oder zu den unlauteren Praktiken großer internationaler Markenhersteller von Lebensmitteln, um die politischen Entscheidungsträger:innen zu informieren und nicht fundierten Entscheidungen zuvorzukommen.
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Im Februar hat die EU-Kommission ihr Arbeitsprogramm veröffentlicht und Schwerpunkte sowie Ziele für 2025 gesetzt. Welche Punkte bewerten Sie aus Sicht genossenschaftlich organisierter Unternehmen positiv?
Es freut mich, dass einige Vorschläge aus unserem Manifest – einer Art „politischer Wunschliste“ mit unseren wichtigsten Forderungen an die EU-Entscheidungsträger:innen für die neue Legislaturperiode – bereits in der Strategie und dem Programm der Kommission berücksichtigt wurden. So hatten wir beispielsweise die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) und die Stärkung des Binnenmarktes gefordert, was inzwischen zu den allgemeinen Zielen der EU zählt. Dies spiegelt sich im „Kompass für Wettbewerbsfähigkeit“ wider, einer im Januar von der Kommission veröffentlichten Strategie für die Wettbewerbsfähigkeit der EU, sowie in der Binnenmarktstrategie, deren Veröffentlichung unmittelbar bevorsteht.
Außerdem haben wir in unserem Manifest einen reibungslosen digitalen und ökologischen Übergang für KMU-Einzelhändler gefordert, indem beispielsweise der Fokus auf der Umsetzung statt auf neuen Vorschriften liegen sollte, nachdem während der letzten Legislaturperiode eine Rekordzahl von Gesetzesinitiativen veröffentlicht wurde. Ich begrüße daher, dass das Programm der Kommission für 2025 nur eine sehr begrenzte Anzahl neuer Gesetzesinitiativen umfasst, die sich direkt auf das genossenschaftliche Geschäftsmodell und den unabhängigen Einzelhandel auswirken würden. Außerdem begrüßen wir nachdrücklich das Bestreben der Kommission, den Bürokratieaufwand um mindestens 25 Prozent für Unternehmen und 35 Prozent für KMU zu verringern; wir versuchen, die politischen Entscheidungsträger:innen in der EU dazu zu bewegen, jegliche Art von Belastungen zum Nutzen der Wettbewerbsfähigkeit weiter zu reduzieren.
In diesem Zusammenhang stellen die im diesjährigen Programm vorgesehenen „Omnibus-Initiativen“ eine sehr interessante Entwicklung dar. Dabei handelt es sich um Initiativen, die eine bessere Angleichung, Vereinfachung und Verringerung von Belastungen bei einer Reihe kürzlich verabschiedeter EU-Rechtsvorschriften zum Ziel haben. Das Programm sieht drei dieser Initiativen vor, aber wir und viele andere Interessenvertreter:innen der Branche nutzen diese Gelegenheit, um weitere Belastungen für unsere Mitglieder zu verringern, indem wir die Änderung weiterer EU-Rechtsvorschriften fordern. So begrüßen wir beispielsweise den ersten Omnibus-Vorschlag zu den Richtlinien zur nichtfinanziellen Berichterstattung und zur Sorgfaltspflicht.
Es zeichnet sich eindeutig eine Dynamik zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Unternehmen in der EU ab. Die Herausforderung dabei ist folgende: Wie lässt sich dies bewerkstelligen, ohne die Planungen und Investitionen der Unternehmen aufgrund neuer Rechtsvorschriften völlig zunichtezumachen? Und wie lässt sich das richtige Gleichgewicht zwischen Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit finden?
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Was fehlt hingegen aus Ihrer Sicht?
Was fehlt, wird zum Teil von den Einzelheiten der Strategien abhängen, die die EU derzeit entwickelt. Einige Probleme fallen mir da schon ein, zum Beispiel eine Überarbeitung der Definition von KMU. Die EU möchte eine Definition für Midcap-Unternehmen festlegen, also für Unternehmen, die größer als KMU und kleiner als Großunternehmen sind. Zwar haben wir keine Einwände dagegen, da dies künftig als Mittel zur Verringerung der Belastungen auch für diese Unternehmensgröße dienen könnte, doch sind wir der Meinung, dass es für die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der kleinen und mittleren Unternehmen von entscheidender Bedeutung ist, bei der Überarbeitung der KMU-Definition die Inflation in den 30 Jahren im Blick zu behalten, in denen die bisherige Definition galt. Dies ist für unseren Sektor wichtig, da der Einzelhandel als beschäftigungs- und umsatzstarker Sektor leicht aus dem Anwendungsbereich dieser Definitionen herausfällt. Wir verfolgen dieses Ziel aktiv, aber im Moment sehe ich keine Bereitschaft aufseiten der Kommission, dies in Betracht zu ziehen.
Wir hoffen außerdem, dass die neue EU-Agenda zur Vereinfachung auf die Diskussion über die „Green Claims“-Richtlinie ausgeweitet wird. Dieses Vorhaben soll die Verlässlichkeit von Umweltaussagen erhöhen, könnte aber in der Praxis zu viel Bürokratie führen und Investitionen in Nachhaltigkeit bremsen. Wir haben zu diesem Thema erst kürzlich einen Brief an die zuständigen Kommissionsmitglieder geschrieben.
Weitere geplante, aber noch nicht umgesetzte Vorhaben sind Maßnahmen gegen territoriale Lieferbeschränkungen durch große Lebensmittelhersteller oder die Einführung eines digitalen Euro, der in Geschäften akzeptiert werden muss. Außerdem hoffe ich, dass die vorgeschlagene Verordnung zum Zahlungsverzug endlich ganz fallen gelassen wird, da die Mehrheit der EU-Länder diesen unausgereiften Vorschlag ablehnt.
Dies sind nur einige Beispiele für Themen, für die wir uns derzeit einsetzen.

Über:
Else Groen
Else Groen ist seit 2012 Generaldirektorin von Independent Retail Europe.